Das Rad der Zeit 11. Das Original: Die Traumklinge (German Edition)
legte ihm die Hand auf den Arm. Das sollte ausreichen, um ihn zu beruhigen; bei einer echten Gefahr hätte sie seinen Schwertarm niemals behindert. »Nicht gefährlicher als …«
Sie verstummte, als sie in dreißig Schritten Entfernung eine Frau erblickte, die langsam durch den Hain aus gewaltigen Bäumen auf sie zukam. Sie musste sich hinter einem Baum versteckt haben. Eine Aes Sedai in einem altmodisch geschnittenen Kleid, mit weißem Haar, das von einem perlengeschmückten Netz aus Silberdraht zurückgehalten wurde und bis zu ihrer Taille fiel. Das konnte unmöglich sein. Aber dieses ausdrucksvolle Gesicht mit den dunklen, schräg stehenden Augen und der Hakennase war unverkennbar. Unverkennbar, aber Turanine Merdagon war gestorben, als Beonin eine Aufgenommene war. Die Frau verschwand mitten im Schritt.
»Was ist?« Tervail fuhr herum, sein Schwert schoss in die Höhe, er starrte in die Richtung, in die sie gesehen hatte. »Was hat dir Angst gemacht?«
»Der Dunkle König, er berührt die Welt«, sagte sie leise. Es war unmöglich! Unmöglich, aber sie war nicht für Halluzinationen oder Einbildungen empfänglich. Sie hatte gesehen, was sie gesehen hatte. Ihr Frösteln hatte nichts mit dem Schnee zu tun, in dem sie bis zu den Knöcheln versunken stand. Stumm betete sie. Möge das Licht mich in all meinen Tagen erleuchten, und möge ich in der sicheren Hoffnung auf Errettung und Wiedergeburt in der Hand des Schöpfers Schutz finden.
Als sie ihm erzählte, dass sie eine Schwester gesehen hatte, die mehr als vierzig Jahre tot war, versuchte er nicht, das als Halluzination abzutun, sondern murmelte nur leise sein eigenes Gebet. Aber sie fühlte keine Furcht in ihm. In sich selbst schon, aber keine in ihm. Die Toten konnten einen Mann nicht schrecken, der jeden Tag als seinen letzten betrachtete. Er war weniger ruhig, als sie ihm ihre Pläne enthüllte. Oder zumindest einen Teil davon. Sie tat es, indem sie in den Handspiegel blickte und sehr sorgfältig webte. Das Gesicht im Spiegel veränderte sich, als das Gewebe sie einhüllte. Es war keine große Veränderung, aber es war nicht länger das Gesicht einer Aes Sedai, nicht länger Beonin Marinyes Gesicht, nur das einer Frau, die ihr ähnlich sah, wenn auch mit viel hellerem Haar.
»Warum willst du zu Elaida vordringen?«, wollte er misstrauisch wissen. Plötzlich lag Spannung in dem Bund. »Du willst nahe an sie heran und dann die Illusion fallen lassen, oder? Sie wird dich angreifen und … Nein, Beonin. Wenn es getan werden muss, dann lass mich gehen. Es sind zu viele Behüter in der Burg, als dass sie sie alle kennen könnte, und sie wird nicht damit rechnen, dass ein Behüter sie angreift. Ich kann ihr einen Dolch ins Herz stoßen, bevor sie überhaupt weiß, wie ihr geschieht.« Er demonstrierte es, in seiner rechten Hand erschien blitzschnell eine kurze Klinge.
»Was ich tun muss, muss ich selbst tun, Tervail.« Sie drehte die Illusion um und verknotete sie, dann bereitete sie mehrere andere Gewebe vor, nur für den Fall, dass die Dinge schiefgingen, danach webte sie ein anderes, sehr kompliziertes Gewebe, in das sie sich einhüllte. Das würde ihre Fähigkeit des Machtlenkens verbergen. Sie hatte sich immer gefragt, warum man sich in manche Gewebe hüllen konnte – so wie in eine Illusion –, während es völlig unmöglich war, mit anderen den eigenen Körper zu berühren, wie beispielsweise beim Heilen. Als sie als Aufgenommene diese Frage gestellt hatte, hatte Turanine mit dieser prägnanten tiefen Stimme erwidert: »Da könnt Ihr genauso gut fragen, warum Wasser nass und Sand trocken ist, Kind. Konzentriert Euch auf das, was möglich ist, statt darüber nachzugrübeln, warum manche Dinge nicht möglich sind.« Ein guter Rat, aber sie hatte den zweiten Teil nie akzeptieren können. Die Toten wandelten auf der Welt. Möge das Licht mich in all meinen Tagen erleuchten …
Sie verknotete das letzte Gewebe und nahm den Großen Schlangenring ab, um ihn in der Gürteltasche zu verstauen. Jetzt konnte sie unerkannt neben jeder Aes Sedai stehen. »Du hast mir immer vertraut, dass ich weiß, was das Beste ist«, fuhr sie fort. »Tust du es noch immer?«
Sein Gesicht blieb so reglos wie das einer Schwester, aber der Bund übertrug einen kurzen Schock. »Aber natürlich, Beonin.«
»Dann nimm Winterfink und geh in die Stadt. Miete ein Zimmer in einem Gasthaus, bis ich zu dir komme.« Er öffnete den Mund, aber sie hob mahnend die Hand. »Geh,
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