Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
zu finden erwartet hatte, war eine ihr ebenbürtige Frau. Ganz bestimmt nicht bei einer Weisen Frau, die kaum die Macht lenken konnte. Aber seltsamerweise betrachtete sie die Aiel mit dem Gesicht wie aus Leder genau auf diese Weise.
Nicht, dass sie Sorilea vertraute. Die Weise Frau verfolgte ihre eigenen Ziele, und vermutlich stimmten sie nicht völlig mit den ihren überein. Aber sie hielt Sorilea für eine fähige Person, und heutzutage war die Welt mit nur wenig Menschen gesegnet, die diese Bezeichnung verdienten.
Plötzlich zuckte Semirhage zusammen, und Sorilea legte den Kopf schief. Dieses Mal schwebte die Verlorene nicht in der Luft; sie stand aufrecht da in dem steifen braunen Kleid, das kurze dunkle Haar vom mangelnden Bürsten durcheinander. Trotzdem strahlte sie Überlegenheit und Kontrolle aus. Genau wie es Cadsuane in einer vergleichbaren Situation getan hätte.
»Was sind das für Gewebe?«, fragte Sorilea und gestikulierte. Die fraglichen Gewebe waren für Semirhages gelegentliches Zucken verantwortlich.
»Ein Trick von mir«, antwortete Cadsuane und löste die Gewebe auf, um sie dann erneut zu erschaffen und damit zu zeigen, wie sie gemacht wurden. »Sie produzieren im Ohr des Subjektes alle paar Minuten einen Laut und blitzen ein Licht in seine Augen, halten sie vom Schlafen ab.«
»Ihr hofft, sie so müde zu machen, dass sie spricht«, sagte Sorilea und musterte die Verlorene wieder.
Natürlich war Semirhage abgeschirmt, damit sie nicht hören konnte, was gesprochen wurde. Trotz zweier Tage ohne vernünftigen Schlaf erschien die Frau ausgeglichen. Ihre Augen waren geöffnet, wurden aber von glühenden Lichtern blockiert. Vermutlich hatte sie irgendeinen geistigen Trick gemeistert, der ihr dabei half, die Erschöpfung abzuwehren.
»Ich bezweifle, dass das ihren Widerstand brechen wird«, gab Cadsuane zu. »Pff! Es lässt sie ja kaum zusammenzucken.« In dem Raum hielten sich nur sie, Sorilea und Bair auf, eine alte Weise Frau, die überhaupt keine Macht lenken konnte. Die Aes Sedai, die Semirhages Abschirmung aufrechterhielten, saßen auf ihren Stühlen im Korridor.
Sorilea nickte. »Eine der Schattenbeseelten wird sich nicht so leicht brechen lassen. Trotzdem ist es vernünftig, dass Ihr es wenigstens versucht, wenn man an Eure … Einschränkungen denkt.«
»Wir könnten mit dem Car’a’carn sprechen«, sagte Bair. »Ihn davon überzeugen, sie uns eine Weile zu überlassen. Ein paar Tage … heikler Aiel-Befragung, und sie würde über alles sprechen, was Ihr nur wünscht.«
Cadsuane lächelte nichtssagend. Als würde sie die Befragung jemand anderem anvertrauen! Die Geheimnisse dieser Frau waren viel zu wertvoll, um ein Risiko einzugehen, selbst wenn es sich um Verbündete handelte. »Nun, Ihr könnt ihn gern fragen, aber ich bezweifle, dass al’Thor zuhört. Ihr wisst ja, was für ein Narr der Junge sein kann, wenn es darum geht, Frauen zu verletzen.«
Bair seufzte. Die Vorstellung, dass diese großmütterlich wirkende Frau eine »heikle Aiel-Befragung« durchführte, war irgendwie seltsam.
»Ja«, sagte sie. »Da habt Ihr sicher recht. Rand al’Thor ist doppelt so stur wie jeder mir bekannte Clanhäuptling. Und doppelt so arrogant. Allein die Annahme, dass Frauen Schmerzen nicht so gut ertragen können wie Männer!«
Cadsuane schnaubte, als sie das hörte. »Um ehrlich zu sein, habe ich daran gedacht, sie aufzuhängen und auspeitschen zu lassen, ganz egal, welche Einschränkungen al’Thor befohlen hat! Aber ich glaube nicht, dass es funktionieren würde. Pah! Wenn wir die hier brechen wollen, müssen wir etwas anderes als Schmerz finden.«
Sorilea musterte Semirhage noch immer. »Ich möchte mit ihr sprechen.«
Cadsuane löste die Gewebe, die Semirhage am Hören, Sehen oder Sprechen hinderten. Die Frau blinzelte, um ihre Sicht zu klären – aber nur einmal –, dann schaute sie Sorilea und Bair an. »Ah«, sagte sie. »Aiel. Ihr seid einst so gute Diener gewesen. Sagt mir, wie sehr nagt es an euch, dass ihr eure Eide verraten habt? Eure Vorfahren würden nach Bestrafung schreien, wenn sie wüssten, für wie viele Tode ihre Nachfahren verantwortlich sind.«
Sorilea reagierte nicht. Cadsuane hatte ein paar Einzelheiten von dem aufgeschnappt, was al’Thor über die Aiel enthüllt hatte, Dinge aus zweiter oder dritter Hand. Al’Thor behauptete, dass die Aiel einst dem Weg des Blattes gefolgt waren und geschworen hatten, niemandem einen Schaden zuzufügen, bevor sie dann
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