Das Rad der Zeit 13. Das Original: Mitternachtstürme (German Edition)
zog einen fleckigen Brief hervor. Er war mit einem Wachstropfen versiegelt.
Stirnrunzelnd drehte er den kleinen Brief herum. Er hatte gesehen, wie Mat ihn immer dabeigehabt hatte. Warum hatte er ihn nicht aufgemacht? So ein Verhalten war einfach unmöglich. Setalle hatte sich viel Mühe gegeben, ihm Anstand beizubringen, und auch wenn das meiste von dem, was sie da so sagte, nicht den geringsten Sinn ergab – er nickte immer bloß, damit er sich dann an sie anschmiegen durfte –, war er sich ziemlich sicher, dass man erhaltene Briefe öffnen sollte, um dann freundlich zu antworten.
Er drehte den Brief noch einmal um, dann zuckte er mit den Schultern und brach das Siegel. Schließlich war er Mats Botenjunge, ganz offiziell. Es war kein Wunder, dass Mat manchmal Dinge vergaß, aber es war seine Aufgabe, sich um ihn zu kümmern. Jetzt, da es Lopin nicht mehr gab, musste man sich besonders um Mat kümmern. Das war einer der Gründe, warum er bei der Bande blieb. Er war sich einfach nicht sicher, was Mat ohne ihn anfangen würde.
Er entfaltete den Brief und nahm ein kleines, steifes Stück Papier heraus. Stirnrunzelnd bemühte er sich die Worte zu lesen. Langsam wurde er ganz gut darin, vor allem wegen Setalle, aber manche Worte bereiteten ihm Schwierigkeiten. Er kratzte sich am Kopf. »Talmanes«, sagte er. »Ich glaube, du solltest das hier lesen.«
»Was ist das?«, fragte der Mann und schaute vom Spiel hoch. »Also ehrlich! Olver, was tust du da? Das sollte nicht geöffnet werden!« Der Mann erhob sich, kam herüber und riss ihm das Blatt aus den Fingern.
»Aber …«
»Lord Mat hat das nicht geöffnet«, sagte Talmanes. »Er wusste, dass uns das bloß in die Politik der Weißen Burg verstrickt. Er hat die ganzen Wochen abgewartet! Und jetzt schau, was du angerichtet hast. Ich frage mich, ob wir ihn nicht wieder zumachen können und …«
»Talmanes«, beharrte Olver. »Ich glaube, es ist wichtig !«
Talmanes zögerte. Einen Augenblick lang erschien er unentschlossen, dann hielt er den Brief so, dass mehr Licht darauffiel. Er las ihn schnell, mit dem Gebaren eines Jungen, der Essen vom Wagen eines Straßenverkäufers stahl und sich in den Mund stopfte, bevor man ihn erwischte.
Lautlos stieß Talmanes einen Fluch aus. Er las den Brief erneut, dann fluchte er lauter. Er schnappte sich sein Schwert, das an der Wand lehnte, und eilte aus dem Zelt. Den Brief hatte er zu Boden fallen lassen.
Olver betrachtete ihn erneut und sagte die Worte, die er beim ersten Mal nicht verstanden hatte, laut auf.
Matrim,
wenn Ihr das hier öffnet, bin ich tot. Ich hatte geplant, innerhalb eines einzigen Tages zu Euch zurückzukehren und Euch von Eurem Eid zu entbinden. Aber meine nächste Aufgabe birgt viele Komplikationen, und es besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass ich sie nicht überlebe. Ich musste wissen, dass ich jemanden zurückließ, der diese Arbeit erledigen kann.
Glücklicherweise kann ich mich meiner Ansicht nach bei Euch auf eine Sache verlassen, und das ist Eure Neugier. Ich vermute, dass Ihr ein paar Tage lang durchhalten werdet, bevor Ihr diesen Brief öffnet, was mir genug Zeit für eine mögliche Rückkehr lässt, falls das möglich ist. Andernfalls fällt diese Aufgabe an Euch.
In Caemlyn gibt es ein Tor der Kurzen Wege. Es ist bewacht, verbarrikadiert und als sicher befunden. Das ist es nicht.
Eine gewaltige Streitmacht Schattengezücht bewegt sich durch die Wege auf Caemlyn zu. Ich vermag nicht zu sagen, wann sie genau aufgebrochen ist, aber es müsste ausreichend Zeit sein, sie aufzuhalten. Ihr müsst zur Königin vordringen und sie dazu überreden, dieses Tor zu zerstören. Das kann man schaffen; es zuzumauern reicht nicht. Falls Ihr es nicht zerstören könnt, muss die Königin diesen Ort von all ihren Streitkräften bewachen lassen.
Solltet Ihr darin versagen, fürchte ich, dass Caemlyn noch vor Ende des Monats verloren sein wird.
Ich grüße Euch
Verin Mathwin
Olver rieb sich das Kinn. Was war ein Tor der Kurzen Wege? Er glaubte, Mat und Thom davon sprechen gehört zu haben. Zusammen mit dem Brief verließ er das Zelt.
Talmanes stand direkt vor dem Eingang und sah nach Osten. In Richtung Caemlyn. Ein rötlicher Dunst hing am Horizont, über der Stadt lag ein Glühen. Es war viel größer als in anderen Nächten.
»Das Licht stehe uns bei«, flüsterte Talmanes. »Sie brennt. Die Stadt brennt.« Er schüttelte den Kopf, als wollte er ihn klarbekommen, dann stieß er einen Ruf
Weitere Kostenlose Bücher