Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
Tiefen schienen keinen Grund zu haben.
In der Mitte kämpfte eine Frau in weißem Kleid darum, nicht unterzugehen. Der Stoff ihrer Kleidung breitete sich im Wasser aus und bildete einen Kreis. Gesicht und Haare waren nass. Während Rand zusah, keuchte sie auf und versank, schlug in dem kristallklaren Wasser um sich.
Einen Augenblick später kam sie keuchend wieder an die Oberfläche.
»Hallo, Mierin«, sagte Rand leise. Er ballte die Faust. Auf keinen Fall würde er in das Wasser springen, um sie zu retten. Das war ein Traumsplitter. Sicherlich konnte der Teich aus echtem Wasser bestehen, aber es war viel wahrscheinlicher, dass es etwas ganz anderes war.
Seine Ankunft schien ihr neuen Auftrieb zu verleihen und die wilden Bewegungen wurden effektiver. »Lews Therin«, sagte sie und wischte sich keuchend mit einer Hand das Gesicht ab.
Licht! Wo war nur seine Ausgeglichenheit geblieben? Unversehens kam er sich wieder wie ein Kind vor, wie der Junge, der Baerlon für die großartigste Stadt hielt, die je erbaut worden war. Ja, ihr Gesicht war anders, aber Gesichter spielten für ihn keine Rolle mehr. Sie war noch immer dieselbe Person.
Von allen Verlorenen hatte allein Lanfear ihren neuen Namen selbst ausgesucht. Sie hatte immer so einen gewollt.
Er erinnerte sich. Er erinnerte sich. Wie er mit ihr am Arm großartige Feste betreten hatte. Wie ihr Lachen die Musik übertönte. Ihre gemeinsamen Nächte. Er hatte sich nicht daran erinnern wollen, wie er mit einer anderen Frau geschlafen hatte, erst recht nicht mit einer der Verlorenen, aber er konnte sich nicht aussuchen, was sein Geist alles enthielt.
Die fremden Erinnerungen vermengten sich mit seinen eigenen, als er sie als Lady Selene begehrt hatte. Dumme, jugendliche Lust. Solche Regungen hatte er abgelegt, aber die Erinnerungen daran blieben.
»Du kannst mich befreien, Lews Therin«, sagte Lanfear. »Er hat Anspruch auf mich erhoben. Muss ich betteln? Er hat Anspruch auf mich erhoben!«
»Du hast dich dem Schatten verschworen, Mierin«, erwiderte Rand. »Das ist deine Belohnung. Erwartest du Mitleid von mir?«
Etwas Dunkles schoss in die Höhe und schlang sich um ihre Beine, um sie wieder in die Tiefe zu reißen. Trotz seiner Worte ertappte sich Rand dabei, wie er einen Schritt nach vorn machte, als wollte er in den Teich springen.
Er brachte sich wieder unter Kontrolle. Endlich fühlte er sich nach langem Kampf wieder wie ein ganzer Mensch. Das verlieh ihm Kraft, aber sein innerer Frieden war eine Schwäche – die Schwäche, die er immer gefürchtet hatte. Die Schwäche, die Moiraine richtigerweise in ihm erkannt hatte. Die Schwäche des Mitgefühls.
Er brauchte es. So wie ein Helm eine Öffnung brauchte, durch die man sehen konnte. Beides konnte ausgenutzt werden. Er musste sich eingestehen, dass das stimmte.
Wasser spuckend kam Lanfear wieder an die Oberfläche und sah hilflos aus. »Muss ich betteln?«, rief sie erneut.
»Ich glaube nicht, dass du so etwas kannst.«
Sie senkte den Blick. »Bitte!«, flüsterte sie.
Etwas in Rand verkrampfte sich. Um das Licht zu finden, hatte er sich durch Finsternis gekämpft. Sich selbst hatte er eine zweite Chance verschafft; sollte er das nicht auch einem anderen zugestehen?
Beim Licht! Er schwankte, erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, die Wahre Macht zu ergreifen. Diese Qual und diese Erregung, diese Macht und dieses Entsetzen. Lanfear hatte sich dem Dunklen König ausgeliefert. Aber in gewisser Weise hatte er das auch getan.
Er blickte ihr in die Augen, forschte darin, erkannte sie. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Du bist wesentlich besser in dieser Art von Täuschung geworden, Mierin. Aber nicht gut genug.«
Ihre Miene verfinsterte sich. Im nächsten Augenblick wurde der Teich durch einen Steinboden ersetzt. Lanfear saß dort mit untergeschlagenen Beinen in ihrem silberweißen Kleid. Trug ihr neues Gesicht, war aber noch immer dieselbe.
»Also bist du zurück«, sagte sie, klang aber keineswegs völlig zufrieden. »Nun, dann bin ich nicht länger gezwungen, mich mit einem Bauernjungen auseinanderzusetzen. Das ist immerhin ein kleiner Segen.«
Rand schnaubte und betrat den Raum. Sie war noch immer gefangen – er konnte etwas Dunkles wie eine Schattenkuppel um sie herum fühlen, und er hielt sich davon fern. Der Teich und das Ertrinken waren bloß Theater gewesen. Sie war stolz, stand aber keineswegs darüber, sich schwach zu geben, wenn es die Situation erforderte. Hätte er
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