Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
Ritual. Fortuona hatte stets mehr darin gesehen. Dieser Ausspruch fasste die Stärke des Kaiserreichs in wenigen Worten zusammen. Eine Kaiserin musste geschickt, stark und listenreich sein, wenn sie überleben wollte. Allein die Besten hatten es verdient, auf dem Kristallthron zu sitzen. Hätte eines ihrer Geschwister oder ein Angehöriger des Hohen Blutes wie Galgan es geschafft, sie zu töten, dann hätte ihr Tod dem Kaiserreich gedient – denn offensichtlich wäre sie dann zu schwach gewesen, um das Reich zu führen.
Möge sie ewig leben. Möge sie stark genug sein, um ewig zu leben. Möge sie stark genug sein, um uns zum Sieg zu führen. Sie würde dieser Welt Ordnung bringen. Das war ihr Ziel.
Matrim stapfte an dem Versammlungsplatz des Heeres vorbei und passierte ihren Thron im Abstand von zehn Schritten. Er trug die Uniform eines kaiserlichen Hohen Generals, auch wenn sie ihm nicht besonders stand. Ständig blieb er mit dem Gewand irgendwo hängen. Die Aufmachung eines Hohen Generals sollte dem Träger Autorität verleihen und seine Anmut verstärken, indem der Stoff in Einklang mit seinen gemessenen Bewegungen wogte. Bei Matrim war es, als hätte man ein Rennpferd in Seide gewickelt und erwartete, dass es so lief. Eine gewisse Anmut hatte er ja, aber es war keine höfische Anmut.
Kommandanten von geringerem Rang folgten ihm. Matrim verblüffte das Blut. Das war gut, denn so waren sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Aber mit seinem unberechenbaren Verhalten und dem ständigen Widerstand gegen Autorität verkörperte er ebenfalls Unordnung. Fortuona repräsentierte die Ordnung, und sie hatte das personifizierte Chaos geheiratet. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
»Aber was ist mit dem Meervolk, Hoheit?«, fragte General Yulan und blieb neben Matrim stehen.
»Hört auf, Euch um das verdammte Meervolk zu sorgen«, fauchte Matrim. »Wenn Ihr noch einmal das Wort Meervolk in den Mund nehmt, hänge ich Euch an den Zehennägeln an einen dieser Raken , mit denen ihr herumfliegt, und schicke Euch nach Shara.«
Yulan erschien sprachlos. »Hoheit, ich …«
Er verstummte, als Mat brüllte: »Savara, wir führen mit Piken und nicht mit Kavallerie, Ihr ziegenküssende Närrin! Es ist mir egal, ob die Kavallerie glaubt, sie könne bessere Arbeit leisten. Das glaubt die Kavallerie immer! Was seid Ihr, eine verfluchte tairenische Hochlady? Wenn Ihr so weitermacht, dann ernenne ich Euch ehrenhalber zu einer.«
Matrim stürmte auf Savara zu, die mit verschränkten Armen und einem finsteren Ausdruck auf dem dunkelhäutigen Gesicht auf ihrem Pferd saß. Der zurückgelassene Yulan sah völlig verwirrt aus. »Wie will man denn jemanden an den Zehennägeln aufhängen?«, fragte er so leise, dass Fortuona ihn beinahe nicht verstanden hätte. »Ich glaube nicht, dass das überhaupt möglich ist. Die Nägel würden abbrechen.« Kopfschüttelnd ging er.
Neben ihr gestikulierte Selucia. Vorsicht. Galgan kommt.
Fortuona stählte sich, als Generalhauptmann Galgan heranritt. Statt einer Uniform wie Mat trug er eine schwarze Rüstung, und er trug sie gut. Befehlsgewohnt und beinahe übermächtig war er ihr größter Rivale und ihr wichtigster Feldherr. Natürlich würde jedermann in seiner Position ein Rivale sein. So war die Welt nun einmal – das war ihre natürliche und richtige Ordnung.
Matrim würde niemals ein Rivale sein. Sie wusste noch immer nicht, was sie davon halten sollte. Ein Teil von ihr – ein zugegeben kleiner, aber durchaus hartnäckiger Teil – war der Ansicht, sie sollte ihn aus genau diesem Grund beseitigen lassen. Sollte der Prinz der Raben nicht eine ständige Prüfung für die Kaiserin sein, sie als eine allgegenwärtige Bedrohung stählen? Sa’rabat shaiqen nai batain pyast. Am einfallsreichsten war eine Frau mit einem Messer an der Kehle. Ein Sprichwort, das von Varuota stammte, ihrer Urururgroßmutter.
Es würde ihr gar nicht gefallen, Matrim beseitigen zu lassen. Solange sie kein Kind hatte, kam das sowieso nicht infrage – jeder andere Weg würde die Omen missachten.
Er war ein so seltsamer Mann. Jedes Mal, wenn sie glaubte, voraussehen zu können, was er als Nächstes tat, irrte sie sich.
»Höchstgeborene«, sagte Galgan, »wir sind fast so weit.«
»Der Prinz der Raben ist mit den Verzögerungen unzufrieden«, sagte sie. »Er fürchtet, dass wir zu spät zur Schlacht kommen.«
»Wenn der Prinz der Raben wirklich etwas von Heeren und Schlachtfeldern versteht«, erwiderte Galgan,
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