Das Rad der Zeit 14. Das Original: Das Vermächtnis des Lichts (German Edition)
Augen zusammenkniff.
»Was ist?«
»Diese Leute da draußen. Ich erkenne sie nicht. Und …«
Sie blickte wieder aus dem Fenster. Das einzige Licht kam von den Gebäuden, die vereinzelt ein rot-oranges Glühen in die nasse Nacht sandten. Die Passanten bewegten sich sehr langsam über die Straße, tauchten kurz ein in das Licht der Fenster.
»Ihr Kleidung ist nicht nass«, flüsterte Androl.
Mit einem Frösteln erkannte Pevara, dass er recht hatte. Der Mann an der Spitze ging mit einem breitkrempigen tropfenden Hut auf seinem Kopf, aber er fing den Regen nicht auf. Seine bäuerliche Kleidung war völlig unberührt vom Wasser. Und das Kleid der Frau neben ihm flatterte überhaupt nicht im Wind. Jetzt erkannte Pevara, dass einer der jüngeren Männer die Hand hinter dem Rücken hielt, als zöge er die Zügel eines Lasttiers – bloß dass da kein Tier war.
Pevara und Androl sahen schweigend zu, bis die Gestalten in der Nacht verschwunden waren. Visionen von Toten wurden immer häufiger.
»Ihr sagtet etwas von einem Vorschlag?« Androls Stimme zitterte.
»Ich … ja.« Pevara riss den Blick vom Fenster los. »Bis jetzt hat sich Taim auf die Aes Sedai konzentriert. Meine Schwestern wurden alle geholt. Ich bin die Letzte.«
»Ihr wollt Euch als Köder anbieten.«
»Sie werden kommen und mich holen«, sagte sie. »Es ist nur eine Frage der Zeit.«
Androl fuhr über den Ledergurt und sah zufrieden aus. »Wir sollten Euch herausschmuggeln.«
»Tatsächlich?« Sie hob die Brauen. »Bin ich jetzt zur Jungfrau ernannt worden, die gerettet werden muss, ja? Wie heldenhaft von Euch.«
Er errötete. »Sarkasmus? Von einer Aes Sedai? Ich hätte nie gedacht, so etwas je zu hören.«
Pevara lachte. »Ach je, Androl. Eigentlich wisst Ihr nichts über uns, oder?«
»Ganz ehrlich? Nein. Ich bin Euresgleichen den größten Teil meines Lebens aus dem Weg gegangen.«
»Nun, wenn man Eure angeborenen … Neigungen … bedenkt, war das vielleicht sehr klug.«
»Früher konnte ich die Macht nicht lenken.«
»Aber Ihr habt vermutet, dass Ihr es könnt. Ihr kamt her, um zu lernen.«
»Ich war neugierig. Es war etwas, das ich zuvor noch nicht ausprobiert hatte.«
Interessant. Ist es das, was dich antreibt, Sattler? Was dich dazu veranlasst hat, dich vom Wind von Ort zu Ort treiben zu lassen?
»Ich vermute«, sagte sie, »Ihr habt auch noch nie versucht, von einer Klippe zu springen. Die Tatsache, dass Ihr etwas noch nicht ausprobiert habt, sollte nicht immer ein Grund sein, es unbedingt versuchen zu wollen.«
»Tatsächlich bin ich schon von einer Klippe gesprungen. Sogar von mehreren.«
Sie sah ihn ungläubig an.
»Das Meervolk macht das«, erklärte er. »In den Ozean. Je mutiger man ist, umso höher die Klippe, die man wählt. Und Ihr habt wieder kunstvoll das Thema der Unterhaltung in andere Bahnen gelenkt, Pevara Sedai. Ihr seid darin sehr geschickt.«
»Danke.«
»Mein Vorschlag, Euch hier herauszuschmuggeln, liegt darin begründet, dass das nicht Euer Kampf ist. Ihr solltet hier nicht sterben müssen.«
»Also nicht, weil Ihr eine Aes Sedai schnell loswerden wollt, damit sie sich nicht in Eure Dinge einmischt?«
»Ich kam zu Euch, um Hilfe zu bekommen«, sagte Androl. »Ich will Euch nicht loswerden; ich würde Euch nur zu gern benutzen. Aber solltet Ihr hier fallen, dann geschieht das in einem Kampf, der nicht der Eure ist. Das ist nicht gerecht.«
»Lasst mich Euch etwas erklären, Asha’man.« Pevara beugte sich näher an ihn heran. »Das ist mein Kampf. Wenn der Schatten diese Burg übernimmt, hat das schreckliche Konsequenzen für die Letzte Schlacht. Für Euch und Euresgleichen habe ich die Verantwortung übernommen; davon werde ich mich nicht so ohne Weiteres abwenden.«
»Ihr habt für uns ›die Verantwortung übernommen‹? Was soll das denn wieder bedeuten?«
Vielleicht hätte ich das für mich behalten sollen. Aber wenn sie schon Verbündete sein wollten, dann wusste er vielleicht besser Bescheid.
»Die Schwarze Burg braucht Führung«, erklärte sie.
»Also darum geht es, darum wollten die Aes Sedai mit uns den Behüterbund eingehen?«, fragte Androl. »Damit man uns … zusammentreiben kann wie Hengste, die man zureiten muss?«
»Seid kein Narr. Sicherlich müsst Ihr den Wert anerkennen, den die Erfahrungen der Weißen Burg haben.«
»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde. Mit Erfahrung kommt die Entschlossenheit, die gewohnten Wege zu bewahren, sich neuen Erfahrungen zu
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