Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
überhaupt nicht. Sie hatte noch niemals festgestellt, dass Demut in irgendeiner Situation half. Siuan behauptete, dass die Jugend im Sonnenpalast von Cairhien Moiraine einen tiefsitzenden Hochmut mitgegeben habe, den sie selbst überhaupt nicht sehen könne – was diese energisch bestritt –, und schließlich war Siuan die Tochter eines Fischers aus Tear, die jeder Königin ins Auge blicken konnte und für die der Hochmut anderer lediglich Widerstand gegen ihre eigenen Pläne bedeutete.
Falls Lan tatsächlich zu scherzen versucht hatte, wenn auch nur ansatzweise und am Ziel vorbei, dann änderte er sich offensichtlich. Beinahe zwanzig Jahre lang war er ihr gefolgt und hatte ihr Leben öfter gerettet, als sie noch zählen konnte, und das oft unter Einsatz seines eigenen Lebens. Immer hatte er sein eigenes Leben nur gering geachtet und nur deshalb für wertvoll, weil sie ihn brauchte. Manche behaupteten, er umwerbe den Tod wie ein Bräutigam die Braut. Sie hatte nie sein Herz besessen und war auch nie auf die Frauen eifersüchtig gewesen, die sich ihm zu Füßen zu werfen schienen. Oft hatte er von sich gesagt, er habe kein Herz. Aber im vergangenen Jahr hatte er herausgefunden, dass er doch eines besaß, als eine Frau es an eine Schnur band und sich um den Hals hängte.
Er leugnete das natürlich ab. Nicht seine Liebe zu Nynaeve al’Vere, der ehemaligen Dorfheilerin aus dem Gebiet der Zwei Flüsse und jetzigen Aufgenommenen in der Weißen Burg, wohl aber, dass er sie jemals besitzen könne. Er besaß zwei Dinge, sagte er: ein Schwert, das nicht zerbrach, und einen Krieg, der nicht enden konnte. Niemals würde er diese Dinge einer Braut anbieten. Moiraine hatte da allerdings einiges bereinigt, doch er würde das nicht erfahren, bis alles vorbei war. Wenn er es erführe, würde er sehr wahrscheinlich versuchen, die Dinge zu ändern, weil er eben ein so sturer Narr von Mann war.
»Dieses ausgetrocknete Land scheint dafür gesorgt zu haben, dass die Demut in dir verdorrt, al’Lan Mandragoran. Ich muss Wasser auftreiben, damit sie wieder blüht.«
»Meine Demut hat eine rasiermesserscharfe Kante«, gab er trocken zurück. »Du hast sie nie stumpf werden lassen.« Er befeuchtete ein weißes Tuch aus seiner ledernen Wasserflasche und reichte es ihr. Sie band es kommentarlos um ihre Stirn. Die Sonne stieg bereits über die Berge hinter ihnen, ein sengender Ball aus geschmolzenem Gold.
Die breite Kolonne wand sich die unfruchtbaren Hänge des Chaendaer empor. Das Ende der Kolonne befand sich noch in Rhuidean, als die Spitze bereits den Kamm überquerte und sich hinunter in eine zerklüftete, hügelige Ebene bewegte, auf der hier und da Felsnadeln und abgeflachte Spitzkegel standen. Die vorherrschenden Farben waren Rot und Ockergelb, dazu Grau und Braun. Die Luft war so klar, dass Moiraine viele Meilen weit sehen konnte, auch dann noch, als sie die Hänge des Chaendaer längst verlassen hatten. Große, von der Natur geformte Felstore ragten vor ihnen auf, und in jeder Himmelsrichtung griffen gezackte Berge mit wilden Fingern nach dem Himmel. Ausgetrocknete Wasserläufe und Senken spalteten ein Land, auf dem nur gelegentlich niedrige Dornbüsche und blattlose, dürre Gewächse auftauchten. Die seltenen Bäume waren wie verkrüppelt, duckten sich am Boden und wiesen zumeist ebenfalls Dornen auf. Die Sonne verwandelte alles in einen Backofen. Ein hartes Land, das ein hartes Volk hervorgebracht hatte. Aber Lan war nicht der Einzige, der sich änderte oder der verändert wurde. Sie wünschte, sie könne vorhersehen, was Rand am Ende aus den Aiel machen würde. Sie alle hatten noch eine lange Reise vor sich.
KAPITEL 8
Über die Grenze
N ynaeve hielt sich krampfhaft mit einer Hand auf ihrem Platz im hinteren Teil des heftig schaukelnden Wagens fest, und mit der anderen sicherte sie ihren Strohhut, während sie zurückblickte, wo der tobende Staubsturm sich in der Ferne verlor. Die breite Krempe warf Schatten auf ihr Gesicht und schützte sie gegen die morgendliche Hitze, doch der Fahrtwind, den der eilig dahinrumpelnde Karren erzeugte, hätte ausgereicht, ihr den Hut vom Kopf zu wehen, und das trotz des dunkelroten Tuchs, das sie darübergezogen und unter ihrem Kinn verknotet hatte. Niedrige, grasbewachsene Hügel, auf denen hier und da etwas Gestrüpp dem Auge Halt bot, zogen an ihr vorüber. Das Gras lag dürr und spärlich unter der Hitze des Spätsommers. Der von den Wagenrädern aufgewirbelte Staub nahm ihr
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