Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
wahrzunehmen. Die Menschen machten ihnen respektvoll Platz und erhielten zur Antwort manchmal ein dankendes Nicken und oft ein streng-bigottes ›Wandelt unter dem Licht‹.
So ignorierte sie die Kinder des Lichts, so gut es möglich war, und machte sich daran, frisches Gemüse aufzutreiben. Doch als die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht hatte, hatten Elayne und sie getrennt zu beiden Seiten der Brücke den gesamten Ort abgegrast und lediglich ein kleines Bündel Süßerbsen aufgegabelt, ein paar winzige Rettiche, mehrere harte Birnen und einen Korb, in dem sie alles zurücktragen wollten. Vielleicht hatte sich Thom wirklich nach Gemüse umgesehen. Zu dieser Jahreszeit hätten die Karren und Verkaufsstände voll sein müssen mit der Ernte des Sommers, aber was sie hier sahen, waren meist Kartoffeln und Zwiebeln, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Wenn sie an all die verlassenen Bauernhöfe dachte, die sie auf dem Weg hierher passiert hatten, dann fragte sich Nynaeve, wie diese Menschen den Winter überstehen sollten. Sie schlenderte weiter.
Neben der Tür eines strohgedeckten Hauses, das den Laden einer Näherin beherbergte, hing ein Pflanzenbündel, das beinahe wie Besenkraut aussah. Winzige gelbe Blüten befanden sich daran, und die Stiele waren ganz mit weißen Bändern umwickelt. Alles hatte man mit einem gelben Band zusammengebunden. Das konnte wohl der schwache Versuch einer Frau sein, in harten Zeiten ein wenig freundlichen Schmutz anzubringen, doch sie war eigentlich sicher, dass es eine andere Bedeutung haben musste.
Sie blieb neben einem leeren Laden stehen, auf dessen Schild über der Tür ein Messer geschnitzt war, tat so, als suche sie einen Stein in ihrem Schuh und betrachtete derweil den Laden der Näherin ganz genau. Die Tür stand offen, und in den Fenstern mit ihren kleinen Butzenscheiben sah sie bunte Stoffballen stehen. Doch es ging niemand hinein und keiner kam heraus.
»Kannst du ihn nicht finden, Nynaeve? Nimm doch den Schuh ab.«
Nynaeves Kopf fuhr herum, denn sie hatte beinahe vergessen gehabt, dass auch Elayne da war. Keiner achtete auf sie, und es war wohl auch niemand nahe genug, um sie zu belauschen. Trotzdem senkte sie die Stimme: »Dieses Bündel Besenkraut an der Ladentür. Das ist ein Signal der gelben Ajah, ein Notsignal von einem der Augen-und-Ohren der Gelben.«
Sie musste Elayne nicht sagen, dass sie nicht auffällig hinübersehen sollte. Der Blick des Mädchens schien den Laden kaum zu streifen. »Bist du sicher?«, fragte sie leise. »Und woher weißt du das?«
»Klar bin ich sicher. Es stimmt genau; sogar das gelbe Band, das herunterhängt, ist in drei Enden aufgeschnitten.« Sie schwieg einen Moment lang und holte tief Luft. Wenn sie sich nicht ganz und gar irrte, hatte dieses unbedeutende Bündel Kräuter eben doch eine Bedeutung als Notsignal. Falls sie im Unrecht war, machte sie sich zum Narren, und das Hasste sie. »Ich habe mich in der Burg sehr häufig mit Gelben unterhalten.« Der wichtigste Lebenszweck der Gelben war das Heilen von Krankheiten und Verletzungen. Sie legten wohl nicht viel Wert auf Kräuter, aber die benötigte man auch kaum, wenn man mithilfe der Macht heilen konnte. »Eine von ihnen hat mir das erzählt. Sie hat es nicht für einen besonders relevanten Verstoß gegen die Vorschriften gehalten, da sie sicher war, dass aus mir eine Gelbe wird. Außerdem ist dieses Signal seit beinahe dreihundert Jahren nicht mehr benützt worden. Elayne, selbst in jeder Ajah wissen nur wenige Frauen überhaupt, wer die Augen-und-Ohren ihrer eigenen Ajah sind, aber ein Bündel gelber Blüten, das so wie dieses zusammengebunden und aufgehängt wurde, sagt jeder Gelben Schwester, dass sich hier eine befindet und etwas zu berichten weiß, das wichtig genug ist, um dafür sogar die Entdeckung zu riskieren.«
»Wie werden wir herausfinden, worum es geht?«
Das gefiel Nynaeve. Nicht: ›Was sollen wir tun?‹ Das Mädchen hatte Rückgrat.
»Folge mir einfach nur«, sagte sie und ergriff ihren Korb mit fester Hand, während sie sich aufrichtete. Sie hoffte, sich noch an alles erinnern zu können, was ihr Shemerin gesagt hatte. Sie hoffte auch, dass Shemerin ihr wirklich alles gesagt hatte. Die mollige Gelbe war für eine Aes Sedai schon recht geschwätzig.
Das Innere des Ladens war nicht sehr groß, und jedes bisschen Wandfläche wurde von Regalen eingenommen. Da lagen dann Ballen aus Seide oder fein gewebter Wolle, Spulen mit Fäden oder
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