Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
nicht versuchte, es zu erlernen. Sie behaupteten außerdem, auch jedes Mädchen aufzuspüren, dem dieses Talent wohl nicht angeboren war, das aber später unter entsprechender Anleitung das Lenken der Macht erlernen konnte. Kein Aielmädchen starb, weil sie das ganz allein zu lernen versuchte. »Ihr kennt doch die Gefahren, wenn man ohne Führung den Gebrauch der Macht lernen will, Aes Sedai. Glaubt ja nicht, die Gefahren des Traums seien geringer! Sie sind genauso groß, und für diejenigen, die ohne das notwendige Wissen den Traum betreten, sind sie vielleicht noch größer.«
»Ich bin schon vorsichtig«, sagte Nynaeve mit angespannter Stimme. Sie war nicht hergekommen, um sich von diesem sonnenhaarigen Drachen von Aielfrau Vorträge halten zu lassen. »Ich weiß, was ich tue, Melaine.«
»Ihr wisst gar nichts. Ihr seid genauso halsstarrig wie die hier, als sie zu uns kam.« Die Weise Frau warf Egwene ein Lächeln zu, das tatsächlich wohlwollend schien. »Wir haben ihre überschüssige Energie in die richtigen Bahnen geleitet, und nun lernt sie rasch. Obwohl sie noch immer viele Fehler hat.« Egwene verging das geschmeichelte Grinsen wieder. Nynaeve vermutete, nur dieses Grinsens wegen habe Melaine das Letztere hinzugefügt. »Wenn Ihr im Traum wandeln wollt«, fuhr die Aielfrau fort, »dann kommt zu uns. Wir werden Euren Eifer ebenfalls dämpfen und Euch unterweisen.«
»Danke sehr, aber ich benötige keine Zähmung«, sagte Nynaeve mit höflichem Lächeln.
» Aan’allain wird sterben an dem Tag, an dem er erfährt, dass Ihr tot seid.«
Eine Klinge aus Eis bohrte sich in Nynaeves Herz. Aan’allain war die Bezeichnung der Aiel für Lan. Der ›Eine Mann‹ bedeutete das in der Alten Sprache, oder ›Ein Mann Allein‹, oder ›Der Mann, der ein ganzes Volk ist‹. Es war oft schwierig, Ausdrücke aus der Alten Sprache genau zu übersetzen. Die Aiel brachten Lan großen Respekt entgegen, dem Mann, der seinen Kampf gegen den Schatten nicht aufgeben wollte, gegen den Feind, der sein Land zerstört hatte. »Ihr kämpft mit schmutzigen Waffen«, knurrte sie.
Melaine zog eine Augenbraue hoch. »Kämpfen wir denn? Falls ja, dann solltet Ihr wissen, dass es in einem Kampf nur Gewinner und Verlierer gibt. Regeln, die verbieten, jemanden zu verletzen, gelten nur in Spielen. Ich will Euer Versprechen, dass Ihr nichts im Traum unternehmt, ohne es zuvor mit uns abgesprochen zu haben. Ich weiß, dass Aes Sedai nicht lügen können, also will ich es von Euch ausgesprochen hören.«
Nynaeve knirschte mit den Zähnen. Es wäre ja leicht, die Worte auszusprechen. Sie musste sich nicht daran halten, weil sie ja nicht an die Drei Eide gebunden war. Aber es würde trotzdem bedeuten, Melaine recht zu geben. Sie glaubte ihr jedoch nicht und würde ihr dieses Versprechen nicht geben.
»Sie wird es nicht versprechen, Melaine«, sagte Egwene schließlich. »Wenn sie diesen störrischen Blick an sich hat, kommt sie nicht einmal aus dem Haus, wenn Ihr beweist, dass ihr Dach in Flammen steht.«
Nynaeve bedachte auch sie mit einem wütenden Blick. Störrisch, ja? Wenn alles, was sie wollte, darin bestand, sich nicht wie eine Puppe herumschubsen zu lassen.
Das Schweigen zog sich in die Länge, und dann seufzte Melaine. »Also gut. Aber es wäre gut für Euch, Aes Sedai, wenn Ihr im Gedächtnis behaltet, dass Ihr in Tel’aran’rhiod nur ein Kind seid. Kommt, Egwene, wir müssen gehen.« Ein amüsiertes Zucken überflog noch Egwenes Gesicht, während die beiden verblassten und schließlich verschwanden.
Mit einem Mal wurde Nynaeve bewusst, dass sie schon wieder die Kleidung gewechselt hatte. Oder dass sie geändert worden war, denn die Weisen Frauen wussten genug von Tel’aran’rhiod , um auch Dinge an anderen abzuwandeln und nicht nur an sich selbst. Sie trug nun eine weiße Bluse und einen dunklen Rock, aber im Gegensatz zu den Röcken der beiden Frauen, die gerade aus dem Traum gegangen waren, reichte ihr Rock nicht einmal bis zu den Knien. Ihre Schuhe und Strümpfe waren weg und ihr Haar zu zwei Zöpfen geflochten, einem über jedem Ohr, in die gelbe Bänder eingebunden waren. Neben ihren bloßen Füßen lag eine Stoffpuppe mit geschnitztem und bemaltem Gesicht. Sie konnte tatsächlich hören, wie ihre Zähne knirschten. Das war schon einmal zuvor geschehen, und sie hatte von Egwene erfahren, dass dies die Kleidung der kleinen Aielmädchen war.
Wütend kehrte sie zu dem gelben Taraboner Seidenkleid zurück, das diesmal noch
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