Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
– und das waren alle, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sie in Caemlyn noch Macht besaßen.
»Es ist mir gleich, was du da behaupten magst«, sagte Lini mit Entschlossenheit im Tonfall. »Du hast kein Fieber, aber mit dir stimmt trotzdem etwas nicht. Du brauchst eine Heilerin von den Aes Sedai, das ist ganz klar.«
»Keine Aes Sedai.« Morgases Stimme klang noch härter. Sie berührte kurz ihren Ring. Ihr war bewusst, dass ihre Feindseligkeit der Burg gegenüber in einem inzwischen völlig unvernünftigen Maße gewachsen war, aber sie konnte sich einfach nicht dazu zwingen, jemandem zu trauen, der versuchte, ihre eigene Tochter vor ihr zu verbergen. Auf ihren Brief an die neue Amyrlin, in dem sie Elaynes Rückkehr forderte – niemand forderte etwas von einer Amyrlin, doch sie hatte das getan –, hatte sie noch keine Antwort erhalten. Er mochte wohl auch Tar Valon gerade erst erreicht haben. Auf jeden Fall war es für sie eine schlichte Tatsache, dass sie keine Aes Sedai in ihrer Nähe dulden würde. Und doch konnte sie gleichzeitig nicht an Elayne denken, ohne einen gewissen Stolz zu empfinden. Nach so kurzer Zeit bereits zur Aufgenommenen erhoben zu werden! Elayne würde möglicherweise einst die erste Frau auf dem Thron von Andor sein, die zugleich eine vollwertige Aes Sedai war und nicht nur eine in der Burg Ausgebildete. Es ergab keinen Sinn, im selben Augenblick so gegensätzliche Empfindungen zu spüren, aber zur Zeit ergab überhaupt nichts mehr einen Sinn. Und ihre Tochter würde niemals den Löwenthron besteigen, wenn ihn ihre Mutter nicht für sie sicherte.
»Ich sagte, keine Aes Sedai, Lini, also brauchst du mich gar nicht mehr so anschauen. Diesmal bringst du mich nicht dazu, irgendeine schlechtschmeckende Medizin zu schlucken. Außerdem glaube ich nicht, dass man zur Zeit in Caemlyn eine Aes Sedai, gleich welcher Farbe, finden könnte.« Ihre alten Gefolgsleute waren weg, durch ihre eigene Unterschrift verbannt, und wahrscheinlich waren sie jetzt zu unversöhnlichen Feinden geworden, so, wie sie Ellorien mitgespielt hatte. Neue Lords und Ladies in ihrem Palast. Neue Gesichter bei der Garde. Wie viel Loyalität ihr gegenüber war noch geblieben? »Kennst du einen Gardeleutnant namens Tallanvor, Lini?« Als die andere Frau rasch nickte, fuhr sie fort: »Suche ihn bitte für mich und bringe ihn hierher. Und sollte jemand nach mir fragen, dann sage allen im Quartier der Pensionäre, dass ich nicht da bin.«
»An diesem Gaebril und seinen Frauen ist doch noch mehr dran, oder?«
»Geh nur, Lini. Und beeil dich. Wir haben nicht viel Zeit.« Den Schatten nach zu schließen, die sie im dicht mit Bäumen bestandenen Garten hinter dem Fenster erkennen konnte, hatte die Sonne den Zenit überschritten. Der Abend würde nur zu bald hereinbrechen. Der Abend, und dann würde Gaebril nach ihr suchen.
Als Lini ging, blieb Morgase steif auf dem Stuhl sitzen. Sie wagte nicht, aufzustehen. Wohl waren ihre Knie wieder kräftiger, doch sie fürchtete, wenn sie aufstünde und sich zu bewegen begänne, würde sie nicht mehr aufhören können, bis sie sich wieder in ihrem Gemach befände und auf Gaebril wartete. So stark war der Drang, besonders jetzt, da sie allein war. Und sobald er sie anblickte, sobald er sie berührte, würde sie ihm zweifellos wieder alles vergeben. Vielleicht würde sie sogar alles vergessen, wenn sie bedachte, wie verschwommen und unvollständig ihre Erinnerungen an die letzte Zeit waren. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie auf den Gedanken kommen können, er habe auf irgendeine Weise die Eine Macht bei ihr eingesetzt, doch kein Mann mit dieser Gabe überlebte lange genug, um sein Alter zu erreichen.
Lini hatte oftmals gesagt, für jede Frau gebe es einen Mann auf der Welt, bei dem sie sich wie eine hirnlose Närrin benimmt, aber sie hatte nie gedacht, dass das auch für sie gelte. Nun, sie hatte noch nie viel Glück bei der Wahl ihrer Männer gehabt, auch wenn ihr das anfangs so erschienen sein mochte.
Taringail Damodred hatte sie aus politischen Gründen geheiratet. Er war vorher mit Tigraine verheiratet gewesen, der Tochter-Erbin, deren Verschwinden den ganzen Streit um die Thronfolge nach Modrelleins Tod ausgelöst hatte. Die Heirat mit ihm hatte eine Verbindung zur alten Königin hergestellt und damit die meisten ihrer Gegner besänftigt. Außerdem, was noch wichtiger gewesen war, hatte sie damit den Pakt wahren können, der die endlosen Kriege mit Cairhien beendet hatte. Aus
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