Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
überhaupt möglich. Jeder versuchte, sich so gut wie möglich herauszustreichen. Sie existierten lediglich, um ihr zu gefallen. Dafür sorgte Graendal ganz gewiss.
Sie deutete auf vier Akrobaten, einen dunkelhaarigen Mann, der drei schlanke Frauen stützte. Ihre kupferfarbene Haut war eingeölt und schimmerte im Licht. »Ich glaube, das sind meine Lieblinge. Ramsid ist der Bruder des Königs von Arad Doman. Die Frau auf seinen Schultern ist Ramsids Ehefrau; die anderen beiden sind die jüngste Schwester und die älteste Tochter des Königs. Findet Ihr es nicht auch bemerkenswert, was Menschen alles erlernen können, wenn man sie nur richtig motiviert? Denkt einmal an all diese Talente, die nur verschwendet werden.« Das gehörte zu ihren Lieblingsthemen. Ein Platz für jeden und jeder an seinem Platz, der ihm aufgrund seiner Talente und der gesellschaftlichen Notwendigkeiten zugeteilt wurde. Diese Notwendigkeiten schienen allerdings immer auf ihre eigenen Wünsche herauszulaufen. Das Ganze langweilte Sammael. Hätte sie ihr Konzept auch auf ihn angewandt, dann hätte sich überhaupt nichts an seiner Stellung im Leben geändert.
Der männliche Akrobat drehte sich langsam um die eigene Achse, damit sie alles gut beobachten konnten. Er hielt nach jeder Seite eine Frau am ausgestreckten Arm hinaus, während diese sich jeweils mit einer Hand an der Frau auf seinen Schultern festhielten. Graendals Aufmerksamkeit hatte sich jedoch bereits wieder den nächsten zugewandt, einem Mann und einer Frau mit sehr dunkler Haut und gekräuselten Haaren, die beide ausgesprochen schön aussahen. Das schlanke Paar spielte auf seltsam lang gezogenen Harfen mit Glöckchen daran, die beim Mitschwingen mit den gezupften Saiten kristallklare Echos warfen. »Meine neuesten Erwerbungen, aus den Ländern jenseits der Aiel-Wüste. Sie sollten mir dankbar dafür sein, dass ich sie errettet habe. Chiape war Sh’boan, eine Art von Kaiserin, und gerade Witwe geworden, und Shaofan war auserkoren, sie zu heiraten und damit Sh’botay zu werden. Sieben Jahre lang hätte sie als absolute Herrscherin regiert, und dann wäre sie gestorben. Daraufhin hätte er dann eine neue Sh’boan auserwählt und bis zu seinem Tod nach weiteren sieben Jahren als absoluter Herrscher regiert. Diesen Zyklus haben sie fast dreitausend Jahre lang ohne Pause eingehalten.« Sie lachte ein wenig und schüttelte staunend den Kopf. »Shaofan und Chiape behaupten steif und fest, ihr Tod sei eine ganz natürliche Sache. Der Wille des Musters, so nennen sie das. Für sie geschieht alles nach dem Willen des Musters.«
Sammael behielt die Menschen drunten im Blick. Graendal schwatzte töricht dahin, doch nur ein wirklicher Narr hätte sie auch für töricht gehalten. Was ihr während ihrer Quatscherei manchmal zu entschlüpfen schien, war oft so sorgfältig eingeplant wie der Stich einer Conjenadel. Der Schlüssel lag immer in der Antwort auf die Frage nach dem Warum. Was wollte sie damit erreichen? Warum hatte sie sich ihre Schätzchen plötzlich aus so weit entfernten Ländern geholt? Sie wich doch nur selten von ihren ausgetretenen Pfaden ab. Wollte sie seine Aufmerksamkeit auf die Länder jenseits der Wüste lenken, indem sie ihn glauben machte, sie interessiere sich besonders dafür? War es ein Ablenkungsmanöver? Das Schlachtfeld lag schließlich hier. Die erste Berührung durch den Großen Herrn, wenn er endlich freikam, würde diese Länder hier treffen. Der Rest der Welt würde am Rande der Stürme liegen, vielleicht auch von ihnen mit einbezogen werden, aber diese Stürme würden hier an Ort und Stelle entstehen.
»Da so viele aus der Familie des Domanikönigs Eure Zustimmung fanden«, sagte er trocken, »bin ich überrascht, dass nicht noch mehr von ihnen hier landeten.« Falls sie ihn ablenken wollte, würde sie schon einen Weg finden, die entsprechende Bemerkung wieder einzuflechten. Sie konnte nie glauben, dass andere sie so gut kannten und ihre Tricks durchschauten.
Eine geschmeidige, dunkelhaarige Frau, nicht mehr jung, aber von einer Art blasser Schönheit und Eleganz, die sie bis zum Ende ihres Lebens auszeichnen würden, erschien neben seinem Ellbogen und trug einen Kristallkelch mit rotem, gewürztem Wein in beiden Händen. Er nahm ihn ihr ab, obwohl er nicht die Absicht hatte, zu trinken. Anfänger hielten gewöhnlich nach einem Frontalangriff Ausschau, bis ihnen die Augen tränten, aber einen einzelnen Attentäter ließen sie von hinten an sich
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