Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Aufgenommene. Ich schätze, Ihr wollt Marigan holen, eh?« In ihrem Tonfall schwang durchaus Respekt mit, aber auch das Wissen darum, dass morgen schon vielleicht jede der Aufgenommenen einen Tag oder auch einen Monat lang zum Waschdienst eingeteilt sein konnte und dann genauso hart arbeiten musste und genauso schikaniert wurde wie die anderen, wenn nicht noch mehr. »Also, ich kann sie noch nicht gehen lassen. Ich habe nicht genug Frauen da, wie die Lage aussieht. Eines meiner Mädchen heiratet heute, eine andere ist weggelaufen, und zwei dürfen nur leicht arbeiten, weil sie schwanger sind. Myrelle Sedai hat mir gesagt, ich könne sie haben. Vielleicht kann ich sie in ein paar Stunden entbehren. Wir werden sehen.«
Moghedien richtete sich auf und öffnete den Mund, aber Nynaeve brachte sie mit einem harten Blick zum Schweigen – nebst einem auffälligen Griff zum Armband des A’dam an ihrem Handgelenk –, und sie widmete sich wieder ihrer Arbeit. Alles, was notwendig war, wären ein paar falsche Worte von Moghedien, eine Klage, wie sie keine Bauersfrau äußern würde, und diese Rolle spielte sie ja nun, um sie auf den Weg zur Dämpfung und zum Henker zu bringen. Nynaeve und Elayne würde es dann nicht viel besser ergehen. Nynaeve atmete unwillkürlich erleichtert auf, als sich Moghedien wieder über das Waschbrett beugte. Ihr Mund bewegte sich, aber sie fluchte nur unhörbar vor sich hin. Immense Scham und blanke Wut durchströmten den A’dam .
Nynaeve brachte ein Lächeln in Nildras Richtung zustande und murmelte etwas Unverbindliches – sie wusste selbst nicht genau, was – und marschierte weiter zu einer der öffentlichen Küchen, um sich etwas zum Frühstücken zu holen. Wieder Myrelle. Sie fragte sich, ob die Grüne irgendetwas gegen sie persönlich habe. Sie fragte sich auch, ob sie auf Dauer einen übersäuerten Magen davontragen werde, wenn sie immer auf Moghedien aufpassen musste. Seit sie der Frau den A’dam angelegt hatte, schluckte sie praktisch ihre Magenmedizin wie andere Bonbons.
Es war nicht schwierig, einen kleinen Tonkrug voll Tee mit Honig zu bekommen, und dazu ein Brötchen, das noch heiß war vom Backofen, aber sobald sie beides hatte, ging sie weiter und aß im Gehen. Schweißperlen standen auf ihrem Gesicht. Selbst zu dieser frühen Stunde wuchs die Hitze ständig an und die Luft war trocken. Die aufgehende Sonne erstrahlte wie eine Kuppel aus geschmolzenem Gold über den Baumwipfeln.
Die Lehmstraßen waren gefüllt, und das war hier meistens so, wenn das Tageslicht ausreichte, um etwas zu sehen. Aes Sedai schritten gravitätisch vorbei, wobei sie Staub und Hitze ignorierten, geheimnisvolle Mienen und geheimnisvolle Aufträge, manchmal mit Behütern auf den Fersen, Wölfen mit kalten Augen, die vergeblich vorgaben, zahm zu sein. Überall waren Soldaten, gewöhnlich in Gruppen marschierend oder reitend. Allerdings verstand Nynaeve nicht, wieso man sie hier auf die Straßen ließ, wenn sie doch draußen in den Wäldern ihre Lager aufgebaut hatten. Kinder rannten umher und äfften häufig die Soldaten nach, indem sie Stöcke statt Schwerter und Piken gebrauchten. Weiß gekleidete Novizinnen eilten durch die Menge, um ihren Aufgaben nachzugehen. Diener und Dienerinnen bewegten sich etwas langsamer, Frauen mit ganzen Armladungen von Bettlaken für die Aes Sedai oder mit Körben voll Brot aus den Backstuben. Männer, die hoch mit Feuerholz beladene Ochsenkarren führten, Truhen schleppten oder sich ganze ausgeweidete Schafe für die Küchen auf die Schultern geladen hatten. Salidar war nicht für so viele Menschen angelegt worden, und so platzte das Dorf beinahe aus allen Nähten.
Nynaeve ging weiter. Der Tag einer Aufgenommenen gehörte zumeist ihr selbst – außer, wenn sie Novizinnen unterrichten musste –, damit sie studieren konnte, was immer sie sollte, allein oder mit einer Aes Sedai als Ausbilderin, aber eine Aufgenommene, die anscheinend nichts zu tun hatte, konnte jederzeit von irgendeiner Aes Sedai aufgegriffen und zum Arbeiten eingesetzt werden. Sie hatte nicht vor, den Tag damit zu verbringen, einer Braunen Schwester beim Katalogisieren von Büchern zu helfen oder die Notizen einer Grauen abzuschreiben. Sie hasste Abschreiben und all dieses Zungenschnalzen, wenn sie einen Klecks machte, und dieses enttäuschte Seufzen, wenn ihre Schrift nicht so sauber wie die einer Schreiberin war. Also spazierte sie geschäftig durch den Staub und die Menschenmenge und hielt nach
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