Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
irgendeine List im Sinn, eine Falle, die zuschnappen würde, wenn er sie am wenigsten erwartete. War er dann vernünftig genug, um sie kommen zu sehen? Außerdem hatte sie ja auch keine Ahnung, welchen Auftrag die Delegation aus Salidar zu erfüllen hatte. Trotz Siuans Mühe waren die meisten Aes Sedai in Salidar ziemlich gespaltener Ansicht in Bezug auf Rand al’Thor. Er war wohl der Wiedergeborene Drache, derjenige, von dem man weissagte, er sei der Retter der Menschheit, doch andererseits war er ein Mann, der die Macht lenken konnte, und damit zum Wahnsinn verdammt, verflucht dazu, Tod und Zerstörung über die Welt zu bringen.
Pass gut auf ihn auf, Min, dachte sie. Gehe schnell zu ihm und dann behüte ihn wohl.
Wie ein Stich durchfuhr sie die Eifersucht, dass Min bei ihm sein und das tun durfte, was sie eigentlich tun wollte. Vielleicht musste sie ihn wirklich teilen, aber wenigstens einen Teil von ihm würde sie auf jeden Fall ganz für sich behalten. Und sie würde ihn als Behüter an sich binden, gleich, welchen Preis sie dafür zu zahlen hatte.
»Es wird vollbracht werden.« Sie streckte eine Hand nach dem Löwenthron aus, um so zu schwören, wie alle Königinnen geschworen hatten, seit es den Staat Andor gab. Das Podest war zu hoch für sie, um das Holz des Thrones fühlen zu können, doch die gute Absicht war doch wohl, was zählte. »Es wird vollbracht werden.«
Die Zeit wurde knapp. In Salidar würde nun bald eine Aes Sedai kommen, um sie zu wecken und den armseligen Kratzer an ihrer Kehle mithilfe der Macht zu heilen. Seufzend trat sie aus dem Traum heraus in ihren Körper.
Demandred kam hinter einer der Säulen des Großen Saals hervor und blickte nachdenklich zu den beiden Thronen und dem Fleck hinüber, an dem das Mädchen verschwunden war. Elayne Trakand, wenn er sich nicht vollkommen irrte, und dem verschwommenen Anblick nach zu urteilen, benutzte sie ein kleines Ter’angreal , wie man es zur Ausbildung von Anfängern unter Studenten verwendet hatte. Er hätte viel darum gegeben, zu wissen, was in ihr vorging, aber ihre Worte und der Gesichtsausdruck waren eindeutig genug. Es gefiel ihr nicht, ganz und gar nicht, was al’Thor hier tat, und sie hatte vor, etwas dagegen zu unternehmen. Eine willensstarke junge Frau, wie er annahm. Auf jeden Fall hatte er damit einen weiteren Faden aus dem Durcheinander entwirrt, wenn auch vielleicht nur einen ganz unbedeutenden.
»Lasst den Herrn des Chaos regieren«, sagte er zu den Thronen – obwohl ihm immer noch nicht klar war, warum das eigentlich notwendig sei –, und dann öffnete er ein Tor, um Tel’aran’rhiod wieder zu verlassen.
KAPITEL 8
Der Sturm braut sich zusammen
N ynaeve erwachte am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang. Sie hatte schlechte Laune. Sie spürte, dass schlechtes Wetter aufkam, aber ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr keine einzige Wolke am immer noch grauen Morgenhimmel. Der Tag versprach, wieder zu einem Backofen zu werden. Ihr Hemd war schweißnass und zerknittert, weil sie sich unablässig herumgewälzt hatte. Einst hatte sie sich auf ihre Fähigkeit, dem Wind zu lauschen, verlassen können, doch seit sie die Zwei Flüsse verlassen hatte, schien sie völlig durcheinandergeraten zu sein, wenn sie überhaupt noch etwas davon spürte.
Darauf warten zu müssen, dass sie an der Waschschüssel an der Reihe war, trug auch nicht zur Verbesserung ihrer Laune bei, genauso wenig wie Elaynes Bericht über das, was sich abgespielt hatte, nachdem sie alle in Elaidas Büro zurückgelassen hatte. Ihre eigene Nacht hatte aus einer langen, vergeblichen Suche durch die Straßen Tar Valons bestanden, die bis auf sie selbst menschenleer gewesen waren. Nur Tauben, Ratten und Unrathaufen hatte sie angetroffen. Das hatte schockierend auf sie gewirkt. Tar Valon war immer fleckenlos sauber gewesen, Elaida vernachlässigte die Stadt offenbar so sehr, dass selbst in Tel’aran’rhiod Abfallhaufen sichtbar waren. Einmal hatte sie durch das Fenster einer Taverne in der Nähe des Südhafens einen Blick auf Leane erhascht – ausgerechnet an einem solchen Ort –, aber als sie hineineilte, war der Schenkraum bis auf die frisch gestrichenen blauen Tische und Bänke leer. Sie hätte danach einfach aufgeben sollen, aber Myrelle hatte sie in letzter Zeit so schikaniert, und so wollte sie ein reines Gewissen haben, wenn sie der Frau berichtete, sie habe sich bemüht. Myrelle würde eine Ausrede so schnell erkennen wie keine andere Frau, die Nynaeve je
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