Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Tel’aran’rhiod etwas Bestimmtes aufzuspüren? Was wir brauchen, ist eine Methode, den Saal davon zu überzeugen, dass sie nicht zu Elaida zurückkehren dürfen.«
»Aber wie? Wenn Logain dazu nicht ausreicht …«
»Wir werden wissen, was es ist, wenn wir es finden«, sagte Elayne mit Entschlossenheit in der Stimme.
Nynaeve fühlte geistesabwesend nach ihrem unterarmdicken Zopf. »Bist du bereit wegzugehen, falls wir nichts finden? Mir gefällt der Gedanke daran nicht gerade, hier herumzusitzen, bis sie sich entschließen, uns unter Bewachung zu stellen.«
»Ich bin einverstanden, dass wir abreisen, vorausgesetzt du bist einverstanden, dass wir hierbleiben, falls wir etwas Nützliches finden. Nynaeve, so gern ich ihn auch Wiedersehen möchte – wir können hier mehr ausrichten!«
Nynaeve zögerte, bevor sie schließlich knurrte: »Einverstanden.« Es schien kein großes Risiko zu sein. Ohne die geringste Ahnung, was sie eigentlich suchen sollten, konnte sie sich nicht vorstellen, etwas zu finden.
Wenn der Tag zuvor bereits voranzuschleichen schien, dann kroch er jetzt nur noch vorwärts. Sie stellten sich an einer der öffentlichen Küchen an, um Teller mit Schinkenscheiben, Zwiebeln und Erbsen zu erhalten. Es schien ihnen, als ruhe die Sonne stundenlang auf den Baumwipfeln. Die meisten Einwohner Salidars gingen mit der Sonne ins Bett, doch in den Fenstern leuchteten ein paar Lichter auf, vor allem in denen des größten Gebäudes. Der Saal gab heute Abend ein Festbankett für Tarna. Fetzen von Harfenklängen trieben gelegentlich von der früheren Schenke herüber. Die Aes Sedai hatten unter den Soldaten einen mehr oder weniger guten Harfner aufgetrieben, ihn rasieren lassen und in eine Art Livree gesteckt. Menschen, die an der Schenke vorüberschritten, warfen kurze Blicke hinüber, bevor sie weiterhasteten, oder sie ignorierten das Gebäude so betont, dass sie vor Anstrengung fast schon bebten. Wieder einmal stellte Gareth Bryne die große Ausnahme dar. Er nahm seine Mahlzeit im Sitzen auf einer Holzkiste mitten auf der Straße ein. Jede aus dem Saal, die durch eines der Fenster blickte, musste ihn sehen. Langsam, unendlich langsam glitt die Sonne hinter die Bäume. Die Dunkelheit kam plötzlich, fast ohne nennenswerte Dämmerung, und die Straßen leerten sich. Das Lied des Harfners begann wieder von vorn. Immer noch saß Gareth Bryne auf seiner Kiste im Lichtschein vom Bankettsaal her. Nynaeve schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie ihn für einen Draufgänger oder für einen Narren halten sollte. Er hatte wohl von beidem etwas an sich, wie sie vermutete.
Erst, als sie im Bett lag, mit dem gesprenkelten, steinernen Ter’angreal an der gleichen Kordel am Hals wie den schweren, goldenen Siegelring Lans, und als die Kerze ausgeblasen war, erinnerte sie sich wieder an Theodrins Anweisungen. Na ja, dafür war es nun zu spät. Theodrin würde ohnehin nicht erfahren, ob sie schlief oder nicht. Wo mochte Lan nur stecken?
Elaynes Atmen verlangsamte sich. Nynaeve kuschelte sich mit einem leichten Seufzer an ihr kleines Kopfkissen, und …
… dann stand sie am Fuß ihres leeren Betts und erblickte eine durchscheinende Elayne im diffusen Lichtschein der Nacht in Tel’aran’rhiod . Keiner würde sie hier sehen. Sheriam oder eine aus ihrem Kreis könnte sich in der Welt der Träume aufhalten, oder auch Siuan oder Leane. Sicher, sie beide hatten ein Recht darauf, diese Welt zu besuchen, doch auf ihrer heutigen Suche wollten sie keine unangenehmen Fragen beantworten. Elayne betrachtete diesen Ausflug offensichtlich als Jagd. Bewusst oder nicht, jedenfalls hatte sie sich wie Birgitte gekleidet: grüner Umhang und weiße Hose. Sie blinzelte überrascht den silbernen Bogen in ihrer Hand an, und er verschwand, zusammen mit dem Köcher.
Nynaeve sah sich ihre eigene Kleidung an und seufzte: Ein blauseidenes Ballkleid, mit goldenen Blumen rund um den tiefen Ausschnitt herum bestickt. Die Stickereien zogen sich in Doppellinien den ganzen weiten Rock hinunter. An den Füßen spürte sie Tanzschuhe aus Samt. Es spielte eigentlich keine Rolle, was man in Tel’aran’rhiod anhatte, doch was hatte sie nur im Sinn gehabt, als ihr Unterbewusstsein ausgerechnet dieses Kleid erwählte? »Dir ist doch klar, dass dies vielleicht erfolglos bleiben wird?«, sagte sie und änderte ihre Kleidung zu einem robusten Wollkleid mit festen Schuhen, wie es in den Zwei Flüssen üblich war. Elayne hatte kein Recht, so spöttisch zu
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