Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Tarna blickte sie an. Gegen diese blauen Augen wirkte der Rest dieses Gesichts geradezu warm. »Aes Sedai«, fügte Nynaeve hastig hinzu.
Tarna wandte sich wieder Elayne zu. »Die Amyrlin hat Euch und Andor ganz besonders ins Herz geschlossen. Sie hat eine solch ausgedehnte Suchaktion nach Euch befohlen, dass Ihr es kaum glauben würdet. Ich weiß, dass es ihr große Freude bereitete, kämt Ihr mit mir nach Tar Valon zurück.«
»Mein Platz ist hier, Aes Sedai.« Elaynes Stimme klang immer noch freundlich, aber sie hatte das Kinn oben, als wolle sie Tarnas Unnahbarkeit nachahmen. »Ich werde zur Burg zurückkehren, wenn es die anderen tun.«
»So, so«, sagte die Rote teilnahmslos. »Also gut. Verlasst uns jetzt. Ich wünsche, mit der Wilden unter vier Augen zu sprechen.«
Nynaeve und Elayne tauschten einen Blick, doch es blieb Elayne nichts anderes übrig, als zu knicksen und hinauszugehen.
Als sich die Tür schloss, überkam Tarna eine eigenartige Wandlung. Sie setzte sich auf Elaynes Bett, zog die Beine hoch und schlug sie übereinander, lehnte sich an das splittrige Kopfbrett und faltete die Hände im Schoß. Ihre Miene taute auf und sie lächelte sogar ein wenig. »Ihr wirkt nervös. Das ist nicht notwendig. Ich beiße Euch nicht.«
Nynaeve hätte das eher glauben können, hätten auch die Augen der Frau ihren Ausdruck verändert. Das Lächeln berührte sie nicht im Geringsten, und der Kontrast ließ sie nun noch härter erscheinen, hundertmal so kalt. Diese Kombination jagte ihr einen Schauer den Rücken hinab. »Ich bin nicht nervös«, sagte sie tapfer und stellte die Füße fest auf den Boden, damit ihre Knie nicht zitterten.
»Ach. Beleidigt, oder? Warum? Weil ich Euch als ›Wilde‹ bezeichnet habe? Ihr müsst wissen, dass auch ich eine Wilde war. Galina Casban persönlich hat meinen Block gebrochen. Sie kannte meine künftige Ajah lange vor mir selbst und hat sich für mich eingesetzt. Das tut sie immer, wenn sie glaubt, eine Frau werde die Roten Ajah erwählen.« Sie schüttelte lachend den Kopf, doch ihre Augen stachen wie gefrorene Messer. »Die Stunden, in denen ich heulte und weinte, bevor ich Saidar berühren konnte, ohne die Augen zu schließen. Man kann nicht weben, wenn man die Stränge nicht sieht. Wie ich hörte, gebraucht Theodrin bei Euch sanftere Methoden.«
Nynaeve trat unwillkürlich von einem Fuß auf den anderen. Theodrin würde doch sicher nicht zu solchen Maßnahmen greifen? Bestimmt nicht. Sie versteifte ihre Knie, aber das ließ das Flattern in ihrem Bauch nicht erlahmen. Also durfte sie nicht beleidigt sein, oder? Sollte sie auch das ›Verkrüppelt‹ unbeachtet lassen? »Worüber wolltet Ihr mit mir sprechen, Aes Sedai?«
»Die Amyrlin möchte Elayne in Sicherheit wissen, aber in gewisser Weise seid Ihr genauso wichtig. Vielleicht noch wichtiger. Was in Eurem Kopf in Bezug auf Rand al’Thor schlummert, könnte sich als unschätzbar erweisen. Und das, was Egwene al’Vere weiß. Habt Ihr eine Ahnung, wo sie sich aufhält?«
Nynaeve hätte sich gern den Schweiß vom Gesicht gewischt, doch sie zwang ihre Hände zur Ruhe. »Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, Aes Sedai.« Es war schon Monate her, seit sie sich zum letzten Mal in Tel’aran’rhiod getroffen hatten. »Darf ich fragen, was …« Niemand in Salidar bezeichnete Elaida als die Amyrlin, aber sie sollte wohl dieser Frau gegenüber die Höflichkeit wahren. »… die Amyrlin in Bezug auf Rand zu unternehmen gedenkt?«
»Gedenkt, Kind? Er ist der Wiedergeborene Drache. Das weiß die Amyrlin auch, und sie gedenkt, ihm alle Ehren zuteilwerden zu lassen, die ihm gebühren.« Eine Andeutung von Eindringlichkeit schlich sich in Tarnas Stimmen. »Denkt doch nach, Kind. Die hier werden zur Herde zurückkehren, sobald ihnen einmal dämmert, was sie da wirklich tun, doch inzwischen könnte sich jeder Tag als lebenswichtig herausstellen. Dreitausend Jahre lang hat die Burg Herrscher angeleitet; ohne sie hätte es mehr und noch schlimmere Kriege gegeben. Wenn al’Thor diese Führung nicht erhält, steht die Welt vor einer großen Katastrophe. Aber man kann nicht führen, was man gar nicht kennt, genauso wenig, wie ich die Macht gebrauchen kann, wenn ich die Augen schließe. Das Beste für ihn wäre, wenn Ihr mit mir zurückreist und Eure Kenntnisse über ihn der Amyrlin zuteilwerden lasst, und zwar jetzt – nicht erst in Wochen oder Monaten. Das wäre auch für Euch selbst das Beste. Hier könnt Ihr nicht zur Aes
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