Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Sedai erhoben werden. Der Eidstab befindet sich in der Burg. Die Prüfung kann nur in der Burg stattfinden.«
Der Schweiß rann Nynaeve in die Augen, doch sie widerstand dem Drang zu blinzeln. Glaubte die Frau etwa, sie ließe sich bestechen? »Um die Wahrheit zu sagen, habe ich nie viel Zeit mit ihm verbracht. Seht Ihr, ich habe im Dorf gewohnt und er auf einem Bauernhof im Westwald. Er machte den Eindruck eines Jungen, der niemals auf Vernunft hören wollte. Man musste ihn zu dem drängen, was er tun sollte, oder ihn aber dazu herschleifen. Sicher, damals war er nur ein Junge. Nach alledem zu schließen, was ich weiß, könnte er sich geändert haben. Die meisten Männer sind wohl nur übergroße Jungen, aber er könnte sich geändert haben.«
Eine Weile lang sah Tarna sie lediglich an, und das mit diesem eisigen Blick. »Aha«, sagte sie schließlich und stand mit einer so geschmeidigen Bewegung auf, dass Nynaeve beinahe zurückgetreten wäre, obwohl in dieser winzigen Kammer gar kein Platz war, um auch nur einen Schritt rückwärts zu tun. Dieses beunruhigende Lächeln lag immer noch auf den Zügen der anderen Frau. »Welche eigenartige Gruppe von Menschen, die hier versammelt ist. Ich habe keine von beiden zu Gesicht bekommen, aber wie ich hörte, beehren Siuan Sanche und Leane Sharif Salidar mit ihrer Anwesenheit. Nicht gerade die Sorte von Mensch, mit der eine weise Frau verkehren sollte. Und dann vielleicht auch noch andere außergewöhnliche Leute? Es wäre wirklich besser für Euch, Ihr kämt mit mir. Ich reise am Morgen ab. Lasst mich heute Abend wissen, ob ich Euch an der Straße erwarten soll.«
»Ich fürchte …«
»Denkt darüber nach, Kind. Dies könnte sich als die wichtigste Entscheidung Eures Lebens erweisen. Überlegt es Euch sehr genau.« Die liebenswürdige Maske verschwand, und Tarna rauschte aus dem Zimmer.
Nynaeve gaben die Knie nach, und sie sank auf ihr Bett. Die Frau löste einen derartigen Sturm der Gefühle in ihr aus, dass sie nicht wusste, wie sie all das bewältigen sollte. Nervosität und Zorn rangen in ihr mit einer überschäumenden Freude. Sie wünschte, die Rote habe Gelegenheit, sich irgendwie mit den Aes Sedai in der Burg zu verständigen, die nach Rand suchten. Oh, wie gern wäre sie eine Fliege an der Wand, wenn sie versuchten, ihre angebliche Einschätzung Rands gegen ihn zu benützen. Versuchte doch glatt, sie zu bestechen! Versuchte auch noch, sie einzuschüchtern! Und hatte auch noch recht guten Erfolg damit gehabt. Tarna war sich so sicher, dass die Aes Sedai schließlich vor Elaida die Knie beugen würden. Für sie schien das beschlossene Sache, und nur der Zeitpunkt stellte eine Unsicherheit dar. Und war das eine Andeutung in Bezug auf Logain gewesen? Nynaeve vermutete, Tarna wisse erheblich mehr über Salidar, als die Burg oder Sheriam ahnten. Möglicherweise besaß Elaida hier Anhänger.
Nynaeve erwartete jeden Moment Elaynes Rückkehr, doch als eine halbe Stunde vorüber war, ohne dass sie erschien, machte sie sich auf die Suche nach ihr. Zuerst schritt sie die Straßen ruhig ab, doch bald trabte sie voran, brach aber gelegentlich ab, um auf die Deichsel eines Karrens zu steigen oder auf ein umgestülptes Fass oder einen steinernen Begrenzungspfosten, und spähte über die Köpfe der Menge hinweg. Die Sonne war schon so tief gesunken, dass sie bereits dicht über den Baumwipfeln stand, als sie schließlich unter mürrischen Selbstgesprächen zu ihrem Zimmer zurückstolzierte. Dort fand sie Elayne vor, die offensichtlich gerade angekommen war.
»Wo bist du gewesen? Ich habe schon geglaubt, Tarna hätte dich irgendwo verschnürt hinterlassen!«
»Ich habe die hier von Siuan geholt.« Elayne öffnete die Faust. Zwei der verdrehten Steinringe lagen in ihrer Hand.
»Ist einer davon der echte? Es war eine gute Idee, sie zu holen, aber du hättest versuchen sollen, den echten mitzubringen.«
»Ich habe meine Meinung nicht geändert, Nynaeve. Ich bin immer noch der Meinung, wir sollten hierbleiben.«
»Tarna …«
»Hat mich nur umso mehr darin bestärkt. Sollten wir gehen, dann werden Sheriam und der Saal mit Gewissheit die Einheit der Burg über Rand stellen. Ich weiß das einfach.« Sie legte die Hände auf Nynaeves Schultern, und Nynaeve ließ sich von ihr auf das Bett hinunterdrücken. Elayne setzte sich ihr gegenüber und beugte sich eindringlich nach vorn. »Erinnerst du dich daran, was du mir gesagt hast, wenn man ein starkes Bedürfnis benutzt, um in
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