Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
sie behauptete, ihr sei es zweimal so ergangen, zuerst mit dem ersten Mann, den sie geheiratet hatte, und einmal bei einer Rivalin, die ihr ihren dritten Mann streitig machen wollte.«
»Dreihundert?«, rief Egwene, die gerade einen weichen, kniehohen Wildlederstiefel zur Hälfte zugebunden hatte. So lange lebten nicht einmal Aes Sedai!
»Ich sagte, dass man sich das erzählte«, erwiderte Bair lächelnd. »Manche Frauen altern langsamer als andere, so wie Amys, und wenn es dann auch noch eine legendäre Frau wie Mora ist, blühen die Gerüchte. Eines Tages werde ich Euch erzählen, wie Mora einen Berg versetzte. Zumindest angeblich.«
»Eines Tages?«, fragte Melaine übertrieben höflich. Offensichtlich schmollte sie noch immer, weil sich in Baels Traum irgendetwas ereignet hatte und die anderen davon wussten. »Ich habe jede Geschichte über Mora schon als Kind gehört. Ich glaube, ich kann sie auswendig. Falls Egwene jemals mit Anziehen fertig wird, sollten wir dafür sorgen, dass sie etwas isst.« Ein Glitzern in ihren Augen sagte Egwene, sie werde persönlich jeden Bissen beaufsichtigen und zusehen, dass sie ihn auch schluckte. Ganz eindeutig war ihr Verdacht hinsichtlich Egwenes Gesundheit keineswegs ausgeräumt. »Und den Rest ihrer Fragen beantworten.«
Hektisch grübelte Egwene nach, um auf eine weitere Frage zu kommen. Meist hatte sie einen ganzen Schwung davon auf Lager, doch die Ereignisse der letzten Nacht hatten nur diese eine davon übrig gelassen. Falls sie es dabei beließ, käme ihnen vielleicht der Verdacht, sie frage nur deshalb, weil sie sich weggeschlichen habe, um in fremden Träumen herumzuspionieren. Noch eine Frage. Sie wollte nicht auf ihre eigenen seltsamen Träume eingehen. Manche von ihnen hatten wahrscheinlich eine Bedeutung, die sie herauszufinden gedachte. Anaiya behauptete, Egwene sei ein Träumer und fähig, den Verlauf zukünftiger Ereignisse vorauszusagen, und auch diese drei Frauen hier hielten das für möglich, waren aber der Meinung, sie müsse das ganz von allein lernen. Außerdem wollte sie nicht gern mit irgendjemand über ihre Träume sprechen. Diese drei Frauen wussten ohnehin schon mehr als ihr lieb war von dem, was sich in ihrem Kopf abspielte. »Ach … wie steht es mit Traumgängerinnen, die nicht zu den Weisen Frauen gehören? Ich meine, trefft Ihr jemals andere Frauen in Tel’aran’rhiod? «
»Manchmal«, sagte Amys, »aber nicht häufig. Ohne eine Lehrerin, die sie anleitet, kann es sein, dass eine Frau überhaupt nicht bemerkt, dass sie mehr als nur lebhafte Träume erlebt.«
»Und außerdem«, fügte Bair hinzu, »kann es aufgrund ihrer Unwissenheit geschehen, dass der Traum sie tötet, bevor sie …«
Egwene entspannte sich, da sie sich nun in sicherem Abstand von dem gefährlichen Thema bewegten. Sie hatte bereits eine deutlichere Antwort erhalten, als sie ursprünglich gehofft hatte. Es war ihr jetzt klar, dass sie Gawyn liebte – Tatsächlich?, flüsterte eine Stimme in ihr. Warst du bereit, das zuzugeben? –, und seine Träume deuteten mit Gewissheit an, dass auch er sie liebte. Jedoch … wenn die Männer in wachem Zustand Dinge sagten, die sie gar nicht so meinten, konnten sie so etwas womöglich auch träumen. Doch nun hatten die Weisen Frauen ihr bestätigt, dass er sie liebte … stark genug, um alles zu überwältigen, was sie … Nein. Damit musste sie sich später beschäftigen. Sie hatte noch nicht einmal die blasseste Ahnung, wo er sich befinden mochte. Das Wichtigste war im Moment nur, dass sie die Gefahr erkannt hatte. Beim nächsten Mal würde sie Gawyns Traum rechtzeitig erkennen und ihn meiden. Falls du das wirklich willst, wisperte diese kleine Stimme. Sie hoffte nur, die Weisen Frauen würden die Röte, die in ihren Wangen aufstieg, als Zeichen blühenden Aussehens werten. Und sie wünschte, sie kenne die Bedeutung ihrer Träume. Falls sie eine hatten.
Gähnend erklomm Elayne die Stufen einer kleinen gemauerten Veranda, um über die Köpfe der Menge hinwegblicken zu können. Heute befanden sich keine Soldaten in Salidar, aber die Menschen verstopften die Straßen oder hingen in den Fenstern. Alles verharrte in gedämpfter Erwartung und beobachtete die Kleine Burg. Das Umherscharren von Füßen und ein gelegentliches Husten des aufsteigenden Staubs wegen waren die einzigen Geräusche. Trotz der Hitze des frühen Morgens rührten sich die Leute kaum, außer um sich von Zeit zu Zeit mit einem Fächer oder einem Hut Luft
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