Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
und weißen Fliesen lag, doch dann hielt er sich zurück. Nach einem neugierigen Blick beachtete Aviendha den Leichnam nicht mehr. Als sie noch eine Tochter des Speers gewesen war, hatte sie sicher genauso viele Tote gesehen wie mittlerweile er. Als sie den Speer aufgab, hatte sie womöglich bereits genauso viele getötet, wie er zu dieser Zeit hatte sterben sehen.
Sie konzentrierte sich nun ganz auf ihn, musterte ihn von Kopf bis Fuß und überzeugte sich davon, dass er unverletzt geblieben war. Ein paar der Töchter lächelten sie an und traten zur Seite. Wo nötig, schubsten sie die Roten Schilde beiseite, doch sie blieb, wo sie war, rückte ihr Tuch zurecht und beobachtete ihn aufmerksam. Es war gut, wenn sie im Gegensatz zu dem, was die Töchter glaubten, nur deshalb in seiner Nähe blieb, weil es ihr die Weisen Frauen befohlen hatten, um ihn zu beobachten, denn er ertappte sich schon wieder dabei, dass er sie gleich an Ort und Stelle am liebsten in den Arm genommen hätte. Gut, dass sie ihn gar nicht begehrte. Er hatte ihr das Elfenbeinarmband geschenkt, das sie trug, Rosen unter Dornen, weil es ihrer Natur entsprach. Es war ihr einziges Schmuckstück, bis auf die silberne Halskette mit Gliedern in Form jener Muster, die von den Kandori als ›Schneeflocken‹ bezeichnet wurden. Er wusste nicht, von wem sie das hatte.
Licht!, dachte er angewidert. Er begehrte Aviendha und Elayne, obwohl ihm klar war, dass er keine von beiden haben konnte. Du bist schlimmer, als Mat jemals von sich selbst glaubte. Sogar Mat besaß genug Vernunft um sich von einer Frau fernzuhalten, wenn er glaubte, er bringe sie damit in Gefahr.
»Ich muss ebenfalls nach Cairhien«, sagte sie.
Rand verzog das Gesicht. Was ihn an einer Nacht in Cairhien so reizte, war unter anderem, dass er sie nicht wieder im gleichen Zimmer mit ihr verbringen musste.
»Es hat nichts zu tun mit …«, fing sie in scharfem Ton an, doch dann biss sie sich auf die volle Unterlippe, und ihre blaugrünen Augen blitzten. »Ich muss mit den Weisen Frauen sprechen, vor allem mit Amys.«
»Selbstverständlich«, erwiderte er. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, sie dort zurückzulassen.
Bashere berührte ihn am Arm. »Ihr wolltet meinen Reitern heute Nachmittag beim Exerzieren zusehen.« Der Tonfall klang beiläufig, doch der Blick aus den schräg stehenden Augen verlieh den Worten Gewicht.
Es war auch wirklich wichtig, aber Rand spürte ein starkes Bedürfnis, aus Caemlyn, ja aus ganz Andor zu entfliehen. »Morgen. Oder übermorgen.« Er musste den Blicken dieser Königinnen entkommen. Er durfte sich nicht länger fragen, ob einer von ihrem eigenen Blut – Licht, er war ja von ihrem Blut! – auch ihr Land zerreißen würde, wie er es bei so vielen anderen bereits getan hatte. Weg von Alanna. Wenn auch nur für eine Nacht, aber er musste weg.
KAPITEL 17
Das Rad eines Lebens
R and holte seinen Schwertgürtel, der neben dem Thron hing, mithilfe eines Strangs aus Luft heran, dann auch das Szepter, und öffnete ein Tor vor dem Podest. Der rotierende Lichtschlitz erschien und weitete sich, bis man ein leeres, dunkel getäfeltes Zimmer erblickte, das sich mehr als sechshundert Meilen von Caemlyn entfernt im Sonnenpalast befand, dem Königlichen Palast in Cairhien. Den Raum hatte er sich eigens für diesen Zweck reserviert. Er enthielt keine Möbel, aber die dunkelblauen Fußbodenfliesen und die holzgetäfelten Wände schimmerten, so gut hatte man sie geputzt und poliert. Obwohl er kein Fenster aufwies, war es hell in dem Raum, denn die Lampen auf acht vergoldeten Ständern brannten Tag und Nacht, und Spiegel verstärkten das Licht der ölgespeisten Flammen, Rand blieb stehen und gürtete sein Schwert, während Sulin und Urien die Tür zum Korridor öffneten und verschleierte Töchter und Rote Schilde vor ihm eintreten ließen.
In diesem Fall allerdings hielt er ihre Vorsicht für übertrieben und lächerlich. Auf dem breiten Korridor, dem einzigen, durch den man dieses Zimmer erreichen konnte, drängten sich bereits etwa dreißig Far Aldazar Din , Brüder des Adlers, und beinahe zwei Dutzend von Berelains Gardisten aus Mayene mit ihren rot bemalten Brustharnischen und den breitrandigen, kochtopfähnlichen Helmen, die sogar noch den Nackenansatz bedeckten. Wenn es irgendwo einen Ort gab, an dem Rand ohne die Töchter auskommen konnte, dann war es Cairhien.
Kaum war Rand erschienen, sprang auch schon ein Bruder des Adlers den Gang hinunter auf ihn zu, und ein
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