Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
ist, um sich al’Thor zum Kampf zu stellen.«
»Ich bezweifle, dass er es fertigbringen wird, uns alle zu töten«, sagte sie beißend, doch auch in ihrem Magen rührte sich etwas Beißendes. Zu viele der Auserwählten waren bereits gestorben. Sammael musste einen Weg gefunden haben, um sich bis zum Schluss herauszuhalten – das war die einzig mögliche Erklärung.
»Ihr zweifelt daran? Nicht einmal, wenn er erfährt, wo Ihr euch alle aufhaltet?« Sein Lächeln vertiefte sich. »Ich weiß mit Bestimmtheit, was Demandred plant, aber wo versteckt er sich? Wo ist Semirhage? Mesaana? Wie steht es mit Asmodean und Lanfear? Moghedien?«
Diese kalten Finger kehrten zurück und krallten sich in ihren Schädel. Er würde nicht hier herumsitzen und solche Dinge sagen – er würde nicht wagen, das anzudeuten, was er andeutete, außer …
»Asmodean und Lanfear sind tot, und ich bin sicher, auch Moghedien teilt ihr Schicksal.« Sie war überrascht von dem Klang ihrer eigenen Stimme: heiser und unsicher. Der Wein schien ihre ausgetrocknete Kehle nicht zu befeuchten.
»Und die anderen?« Es war nur eine Frage. Seine Stimme klang nicht hartnäckig. Sie ließ sie schaudern.
»Ich habe Euch gesagt, was ich weiß, Sammael.«
»Also nichts. Wenn ich Nae’blis bin, werde ich denjenigen auswählen, der gleich unter mir kommt; er muss am Leben bleiben, um die Berührung des Großen Herrn zu erfahren.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr im Shayol Ghul wart? Dass Euch der Große Herr versprochen hat …?«
»Ihr werdet alles erfahren, wenn es an der Zeit ist, aber nicht vorher. Doch nur ein kleiner Ratschlag, Graendal. Bereitet Euch jetzt darauf vor. Wo halten sie sich auf?«
Ihr Verstand arbeitete fieberhaft. Er musste dieses Versprechen erhalten haben. Ganz gewiss. Doch warum gerade er? Nein, sie hatte keine Zeit für fruchtlose Überlegungen. Der Große Herr wählte aus, wen er haben wollte. Und Sammael wusste, wo sie sich aufhielt. Sie konnte aus Arad Doman fliehen und sich anderswo häuslich einrichten; das wäre nicht schwer. Die kleinen Spielchen, die sie dort spielte, und sogar die größeren Spiele, die sie damit wohl aufgeben müsste, wären ein geringer Verlust, verglich sie das mit der Vorstellung, al’Thor – oder Lews Therin – wäre hinter ihr her. Sie hatte nicht die Absicht, sich ihm jemals offen zum Kampf zu stellen. Wenn ihm schon Ishamael und Rahvin zum Opfer gefallen waren, würde sie sich nicht kopfüber auf ihn stürzen. Sammael musste dieses Versprechen erhalten haben. Wenn er jetzt starb … Er benützte bestimmt gerade Saidin – er wäre verrückt, solche Dinge zu sagen, ohne sich zu schützen. Und er würde es im gleichen Moment spüren, wenn sie nach Saidar griff. Dann wäre sie diejenige, die sterben würde. Er musste es bekommen haben. »Ich … weiß nicht, wo sich Demandred oder Semirhage aufhalten. Mesaana … Mesaana ist in der Weißen Burg. Das ist alles, was ich weiß. Ich schwöre es.«
Der Ring um ihre Brust lockerte sich, als er schließlich nickte. »Ihr werdet die anderen für mich suchen.« Es war nicht als Frage gemeint. »Alle, Graendal. Wenn Ihr wollt, dass ich jemanden für tot halte, dann zeigt mir die Leiche.«
Sie wünschte sich den Mut, ihn zu einer Leiche zu machen. Ihr Gewand veränderte wellenartig die Farbe. Wild leuchtende Rotschattierungen gaben ihren Zorn, ihre Angst und Scham wieder, die Gefühle, von denen sie abwechselnd gepackt wurde. Also gut, sollte er sie doch für eingeschüchtert halten. Wenn er Mesaana al’Thor ans Messer lieferte, wenn er sie alle al’Thor ans Messer lieferte, in Ordnung, solange ihr das al’Thor vom Leibe hielt. »Ich will es versuchen.«
»Versucht es nicht nur, Graendal. Nicht nur ›versuchen‹!«
Als Graendal gegangen war und sich das Tor zu ihrem Palast in Arad Doman geschlossen hatte, ließ Sammael das Lächeln von seinem Gesicht verschwinden. Seine Wangen schmerzten, so hatte er sich dabei anstrengen müssen. Graendal überlegte zu viel; sie war so daran gewöhnt, andere zu zwingen, für sie zu handeln, dass sie gar nicht daran dachte, etwas selbst in die Hand zu nehmen. Er fragte sich, was sie wohl davon halten würde, wenn sie jemals herausfand, dass er sie genauso geschickt manipuliert hatte, wie sie in ihren besten Zeiten so viele Narren an ihren Fäden hatte tanzen lassen. Er war bereit, jede Wette einzugehen, dass sie sein wahres Ziel nicht ahnte. Also befand sich Mesaana in der Weißen Burg. Mesaana in der Burg und
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