Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
zwei Silbersterne auf einem rot-grün gestreiften Feld. Die Kutsche bahnte sich einen Weg nordwärts durch die Menge, wobei der livrierte Kutscher seine lange Peitsche schwang, damit die Leute beiseitetraten und um die Pferde anzutreiben. Fuhr die Lady Arilyn oder jemand von der Abordnung irgendwohin?
Nun, sie war nicht nur zum Schauen hierhergekommen. Sie wich zurück, sodass sie nur noch mit einem Auge um die Ecke spähte und gerade noch das Haus sehen konnte, dann zog sie einen kleinen roten Stein aus ihrer Gürteltasche, atmete tief durch und begann die Macht zu lenken. Wenn eine von ihnen auf dieser Seite aus dem Palast schaute, könnte sie die Stränge sehen, aber nicht Egwene. Sie musste es riskieren.
Der glatte Stein war genau das: ein in einem Fluss glatt geschliffener Stein, aber Egwene hatte diesen Trick von Moiraine erlernt. Moiraine hatte den Stein für die Konzentration der Macht benutzt – zufällig ein Edelstein, aber das war nicht wichtig –, also tat Egwene es auch. Sie verwob Luft mit einem Hauch von Feuer, ein sehr leichtes Gewebe. So konnte man heimlich lauschen. Spionieren, würden es die Weisen Frauen nennen. Egwene war es gleichgültig, wie es genannt wurde, solange sie etwas über die Absichten der Aes Sedai erfuhr.
Ihr Gewebe berührte ein Fenster und öffnete es vorsichtig, ganz leise, dann ein weiteres und noch eines. Schweigen. Dann …
»… also sage ich zu ihm«, sprach die Stimme einer Frau ihr ins Ohr, »… wenn Ihr diese Betten gemacht haben wollt, solltet Ihr besser aufhören, mich am Kinn zu kitzeln, Alwin Rael.«
Eine andere Frau kicherte, »Oh, das hast du niemals gesagt.«
Egwene grinste. Dienstmädchen.
Eine beleibte Frau, die mit einem Brotkorb auf der Schulter vorbeiging, sah Egwene verwirrt an. Das war durchaus verständlich, da sie die Stimmen zweier Frauen hörte, obwohl nur Egwene dort stand und die Lippen nicht bewegte. Sie starrte die Frau so zornig an, dass diese aufschrie und fast ihren Korb fallen gelassen hätte, als sie davonstürzte.
Widerwillig verringerte Egwene die Intensität ihres Gewebes. Jetzt würde sie vielleicht nicht mehr so gut hören können, aber das war immer noch besser, als Gaffer anzuziehen. Sie wurde auch so schon von genügend vielen Menschen angestarrt – eine Aielfrau, die sich an eine Mauer presste –, obwohl niemand lange zögerte, bevor er weiterging. Niemand wollte Schwierigkeiten mit Aiel haben. Egwene vertrieb sie aus ihren Gedanken. Sie bewegte das Gewebe von einem Fenster zum anderen, wobei sie heftig schwitzte, und das nicht nur aufgrund der bereits zunehmenden Hitze. Wenn nur eine Aes Sedai ihre Stränge bemerkte, selbst wenn sie nicht wusste, was sie waren, würde sie doch wissen, dass jemand die Macht auf sie lenkte. Sie würden den Zweck erraten. Egwene wich weiter zurück, sodass sie nur noch mit einem halben Auge zum Palast spähen konnte.
Schweigen. Schweigen. Ein Rascheln. Bewegte sich etwas? Leichte Schuhe auf einem Teppich? Aber keine Worte. Schweigen. Ein Mann murmelte, entleerte offensichtlich äußerst widerwillig Nachtgeschirre. Sie eilte mit brennenden Ohren weiter. Schweigen. Schweigen. Schweigen.
»… glaubt Ihr wirklich, dass es nötig ist?« Selbst im Flüsterton, wie es schien, klang die Stimme der Frau kräftig und selbstbewusst.
»Wir müssen auf alle Möglichkeiten vorbereitet sein, Coiren«, erwiderte eine andere Frau mit einer Stimme wie ein Reibeisen. »Ich habe ein bemerkenswertes Gerücht gehört …« Eine Tür wurde fest geschlossen und der Rest des Satzes abgeschnitten.
Egwene sank gegen die Steinwand des Stalles. Sie hätte vor Enttäuschung schreien mögen. Die diensthabende Graue Schwester und auch die andere mussten Sedai sein, sonst hätte sie niemals so mit Coiren, einer der Aes Sedai, gesprochen. Von keiner anderen hätte sie besser erfahren können, was sie hören wollte. Sie mussten also fortgehen. Welches bemerkenswerte Gerücht? Welche Möglichkeiten? Wie wollten sie sich vorbereiten? Das Lenken der Macht innerhalb des Palastes änderte sich erneut, nahm zu. Was taten sie? Egwene atmete tief ein und lauschte beharrlich.
Als die Sonne höherstieg, hörte sie eine große Anzahl kaum erkennbarer Geräusche und eine Menge Dienergeschwätz. Jemand namens Ceri würde ein weiteres Baby bekommen, und die Aes Sedai sollten zum Mittagessen Wein aus Arindrim bekommen, wo immer das lag. Die interessanteste Neuigkeit war jedoch, dass tatsächlich Arilyn mit jener Kutsche
Weitere Kostenlose Bücher