Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
mir zu?«
Er sprach, aber bestimmt nicht mit ihr. »Du bist da«, flüsterte er heiser. »Es wäre ein zu großer Zufall, wenn du jetzt daran dächtest.« Er blickte zornig und vielleicht auch ängstlich ins Leere. »Verdammt, antworte mir! Ich weiß, dass du da bist!«
Egwene leckte sich die Lippen, bevor sie es verhindern konnte. Somara sah ihn zwar mit einem Blick an, den man als liebevolle mütterliche Besorgnis hätte beschreiben können, aber Egwenes Magen stülpte sich langsam um. Er konnte doch nicht so plötzlich verrückt geworden sein. Das konnte nicht geschehen sein. Aber er hatte anscheinend irgendeiner verborgenen Stimme gelauscht und dann vielleicht auch zu ihr gesprochen.
Sie erinnerte sich nicht, den Zwischenraum überbrückt zu haben, aber ihre Hand lag plötzlich auf seiner Stirn, Nynaeve sagte immer, man solle zuerst überprüfen, ob jemand Fieber habe, obwohl das kaum etwas nützen würde … Wenn sie nur mehr als nur einen Bruchteil vom Heilen verstünde. Aber das würde auch nichts nützen. Nicht wenn er … »Rand, bist du …? Geht es dir gut?«
Er kam zu sich, wich vor ihrer Hand zurück und sah sie misstrauisch an. Im nächsten Moment sprang er auf, ergriff ihren Arm und zog sie so schnell durch den Raum, dass sie bei dem Versuch, ihm zu folgen, fast über ihre Röcke gestolpert wäre. »Bleib genau dort stehen«, befahl er barsch, platzierte sie neben dem Podest und ging zurück.
Sie rieb sich so heftig den Arm, dass es ihm nicht entgehen konnte, und wollte ihm folgen. Männer erkannten niemals, wie stark sie waren. Selbst Gawyn erkannte es nicht immer, obwohl es ihr bei ihm wirklich nichts ausmachte. »Was glaubst du …«
»Rühr dich nicht!« In angewidertem Tonfall fügte er hinzu: »Verdammt sei er, es scheint Wellen zu schlagen, wenn du dich bewegst. Ich werde es am Boden befestigen, damit du nicht aufspringen kannst. Ich weiß nicht, wie groß ich es gestalten kann, und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, es herauszufinden.« Somaras Mund stand offen, aber sie schloss ihn hastig wieder.
Was wollte er am Boden befestigen? Worüber redete er …? Sie verstand so plötzlich, dass sie sich zu fragen vergaß, wer dieser ›er‹ war. Rand hatte Saidin um sie herumgewoben. Ihre Augen weiteten sich. Sie atmete zu schnell, aber sie konnte nicht damit aufhören. Wie nahe war es? Ihre Vernunft sagte ihr, dass der Makel aus nichts heraussickern könnte, was immer er durch das Lenken der Macht bewerkstelligen würde. Er hatte sie schon früher mit Saidin berührt, aber der Gedanke daran machte es allenfalls noch schlimmer. Sie zog unbewusst die Schultern zusammen und hielt ihre Röcke dicht vor sich.
»Was …? Was hast du getan?« Sie war sehr stolz auf ihre Stimme, die vielleicht ein wenig unsicher war, aber keinesfalls dem Schreien ähnelte, nach dem ihr zumute war.
»Schau in den Spiegel dort«, sagte er und lachte laut auf.
Sie gehorchte mürrisch – und keuchte. Dort in dem Spiegel sah sie den goldverzierten Stuhl auf dem Podest. Und ein Teil des restlichen Raumes. Aber nicht sie. »Ich bin … unsichtbar«, hauchte sie. Einmal hatte Moiraine sie alle hinter einem Schirm aus Saidar verborgen, aber wie hatte er es gelernt?
»Das ist viel besser, als sich unter meinem Bett zu verstecken«, höhnte er. Als hätte sie daran jemals gedacht! »Ich möchte, dass du erkennst, wie ehrerbietig ich sein kann. Und außerdem«, sagte er mit jetzt ernsterer Stimme, »fällt dir vielleicht etwas auf, was mir entgeht. Vielleicht wärst du sogar bereit, es mir anschließend zu berichten.« Er sprang mit einem bellenden Lachen auf das Podest, hob die mit Quasten versehene Speerspitze auf und nahm seinen Platz ein. »Schickt sie herein, Somara. Die Abordnung der Weißen Burg soll sich dem Wiedergeborenen Drachen nähern.« Sein verzerrtes Lächeln ließ Egwene sich fast genauso unbehaglich fühlen wie die Nähe des verwobenen Saidin . Wie nahe war das verdammte Zeug?
Somara verschwand, und nach kurzer Zeit öffneten sich die Türen weit.
Eine rundliche, stattliche Frau, die nur Coiren sein konnte, ging der Gruppe voraus, in ein dunkelblaues Gewand gekleidet, gefolgt von Nesune in einem einfachen braunen Wollgewand und einer Aes Sedai mit rabenschwarzem Haar und in einem grünen Seidengewand, eine hübsche, rundgesichtige Frau mit einem prallen, fordernden Mund. Egwene wünschte, die Aes Sedai würden immer die Farben ihrer Ajah tragen – Weiße taten dies zumindest –, denn sie
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