Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
glaubte nicht, dass diese Frau, was immer sie war, eine Grüne war – nicht bei den harten Blicken, die sie Rand von ihrem ersten Schritt in den Raum an zuwarf. Kalte Gelassenheit konnte ihre Verachtung kaum verbergen – vielleicht nur jemandem gegenüber, der nicht an Aes Sedai gewöhnt war. Würde Rand es bemerken? Vielleicht nicht. Er konzentrierte sich anscheinend auf Coiren, deren Miene vollkommen unlesbar war. Nesune registrierte natürlich alles, richtete ihre vogelähnlichen Augen blitzschnell hierhin und dorthin.
Egwene war in diesem Moment sehr froh über den Umhang, den er für sie gewoben hatte. Sie wollte sich gerade mit dem Taschentuch, das sie noch immer in der Hand hielt, das Gesicht abtupfen und erstarrte dann. Er hatte gesagt, er würde es am Boden befestigen. Hatte er es getan? Licht, sie könnte plötzlich ungeschützt dastehen. Aber Nesunes Blick glitt über sie hinweg, ohne innezuhalten. Schweiß lief Egwenes Gesicht hinab. Er floss in Strömen. Verdammt sei der Mann! Sie wäre vollkommen damit zufrieden gewesen, sich unter seinem Bett zu verstecken.
Hinter den Aes Sedai betraten ein volles Dutzend weitere Frauen den Raum, die mit einfachen, rauen Leinenstaubmänteln bekleidet waren. Die meisten waren stämmig und mühten sich mit dem Gewicht zweier durchaus nicht kleiner Kisten, deren polierte Messingbeschläge mit der Flamme von Tar Valon versehen waren. Die Dienerinnen stellten die Kisten mit hörbaren Seufzern der Erleichterung ab, bearbeiteten verstohlen ihre Arme und streckten die Rücken, während die Türen hinter ihnen zufielen und Coiren und die anderen beiden Aes Sedai in vollkommenem Gleichklang in einen, wenn auch nicht sehr tiefen, Hofknicks versanken.
Rand hatte sich aus seinem Stuhl erhoben, noch bevor sie sich wieder aufrichteten. Das Leuchten Saidars umgab alle drei Aes Sedai. Sie hatten sich miteinander verbunden. Egwene versuchte sich einzuprägen, was sie davon bemerkt hatte, wie sie es getan hatten. Trotz des Leuchtens erschütterte nichts ihre äußere Ruhe, als Rand an ihnen vorbei auf die Dienerinnen zuging und nacheinander ihre Gesichter betrachtete.
Was wollte er …? Natürlich, er wollte sich versichern, dass keine von ihnen das alterslose Gesicht einer Aes Sedai hatte. Egwene schüttelte den Kopf und erstarrte dann erneut. Er war ein Narr, wenn er glaubte, dass das genügte. Die meisten besaßen ein zu hohes Alter – sie waren, nach gewöhnlichen Maßstäben, nicht alle alt, aber man konnte ihnen ein Alter zuweisen –, aber zwei der Dienerinnen waren jung genug, dass sie erst seit Kurzem Aes Sedai sein könnten. Sie waren es nicht – Egwene konnte das Talent nur bei den drei Aes Sedai spüren, und sie war ihnen ausreichend nahe –, aber das konnte er sicherlich nicht allein durch Augenschein feststellen.
Er berührte das Kinn einer stämmigen jungen Frau und sah ihr lächelnd in die Augen. »Habt keine Angst«, sagte er sanft. Sie schwankte, als wollte sie in Ohnmacht fallen. Rand wandte sich seufzend auf dem Absatz um. Er sah die Aes Sedai nicht an, während er erneut an ihnen vorüberging. »Ihr werdet in meiner Gegenwart nicht die Macht lenken«, sagte er fest. »Lasst sie fahren.« Ein nachdenklicher Ausdruck überzog kurzzeitig Nesunes Gesicht, aber die beiden anderen beobachteten ruhig, wie Rand seinen Platz wieder einnahm. Er rieb sich den Arm – Egwene war dabei gewesen, als er dieses Kribbeln zum ersten Mal verspürt hatte – und sprach dann mit härterer Stimme weiter. »Ich sagte, Ihr werdet in meiner Gegenwart nicht die Macht lenken – oder Saidar auch nur aufnehmen.«
Egwene betete einen langen Moment still. Was würde er tun, wenn sie die Quelle weiterhin berührten? Versuchen, sie davon zu trennen? Eine Frau von Saidar zu trennen, wenn sie es erst berührt hatte, war weitaus schwerer, als sie vorher davon abzuschirmen. Sie war nicht sicher, ob er mit drei Frauen fertig würde, die fest miteinander verbunden waren. Schlimmer noch – was würden sie tun, wenn er überhaupt etwas versuchte? Das Leuchten verschwand, und sie konnte nur mühsam einen Seufzer der Erleichterung unterdrücken. Was auch immer er getan hatte, machte sie zwar unsichtbar, aber offensichtlich nicht unhörbar.
»Schon viel besser.« Rands Lächeln schloss sie alle ein, erreichte aber nicht seine Augen. »Wir sollten noch einmal beginnen. Ihr seid ehrenwerte Gäste, die gerade erst eingetreten sind.«
Sie verstanden natürlich. Rand war keiner Vermutung gefolgt.
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