Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Wenn Nynaeve und Elayne sie bereitwillig ungehindert umhergehen ließen, musste der A’dam sie einschränken, wenn niemand sie ständig im Auge behielt. Sie betastete das Armband – sie hasste dieses Ding, aber sie beabsichtigte es Tag und Nacht zu tragen – und fügte hinzu: »Aber haltet Euch verfügbar. Ich werde einen Fluchtversuch genauso ahnden wie eine Lüge.« Angst strömte durch den A’dam , während Moghedien hinauseilte. Das konnte bedrohlich werden. Wie hatten Nynaeve und Elayne mit einem solchen Ansturm an Furcht leben können? Aber das würde sie später klären müssen.
Sie wandte sich Siuan zu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das wird nichts nützen, Siuan. Ich weiß alles, Tochter.«
Siuan neigte den Kopf. »Manchmal bietet Wissen dennoch keinen Vorteil. Manchmal bedeutet es nur, die Gefahr zu teilen.«
»Siuan!«, sagte Elayne halbwegs erschrocken und halbwegs warnend, und zu Egwenes Überraschung tat Siuan etwas, was sie bei ihr niemals erwartet hätte. Sie errötete.
»Ihr könnt nicht von mir erwarten, über Nacht jemand anderer zu werden«, murrte die Frau verdrießlich.
Egwene vermutete, dass Nynaeve und Elayne ihr bei dem helfen könnten, was sie tun musste, aber wenn sie wirklich die Amyrlin sein wollte, musste sie es allein tun. »Elayne, ich weiß, dass du dieses Gewand einer Aufgenommenen loswerden willst. Warum tust du es also nicht? Und dann sieh, was du über die verlorenen Talente herausfinden kannst. Nynaeve, für dich gilt das Gleiche.«
Sie wechselten einen Blick, sahen dann Siuan an, erhoben sich schließlich und vollführten vollendete Hofknickse, während sie respektvoll murmelten: »Wie Ihr befehlt, Mutter.« Siuan schien das nicht zu beeindrucken. Sie stand da und beobachtete Egwene mit verzerrtem Gesichtsausdruck, während Nynaeve und Elayne gingen.
Egwene umarmte Saidar erneut, nur kurz, um ihren Stuhl wieder auf seinen Platz hinter dem Tisch gleiten zu lassen, richtete dann ihre Stola und setzte sich hin. Sie betrachtete Siuan einen langen Moment schweigend. »Ich brauche Euch«, sagte sie schließlich. »Ihr wisst, was es bedeutet, die Amyrlin zu sein, und was die Amyrlin tun kann und was nicht. Ihr kennt die Sitzenden, Ihr wisst, wie sie denken, was sie wollen. Ich brauche Euch, und ich will Euch haben. Sheriam und Romanda und Lelaine glauben vielleicht, dass ich unter dieser Stola noch immer das Weiß der Novizinnen trage – vielleicht glauben es alle –, aber Ihr werdet mir helfen, ihnen zu zeigen, dass dem nicht so ist. Ich bitte Euch nicht, Siuan. Ich … werde … Eure … Hilfe … bekommen.« Nun brauchte sie nur noch abzuwarten.
Siuan betrachtete sie, schüttelte dann leicht den Kopf und lachte leise. »Sie haben einen großen Fehler begangen, nicht wahr? Ich habe ihn natürlich zuerst begangen. Das unbeholfene hässliche Entlein entpuppt sich zu einem selbstbewussten stolzen Schwan.« Sie breitete bei einem tiefen Hofknicks ihre Röcke weit aus und beugte den Kopf. »Mutter, bitte erlaubt mir, Euch zu dienen und zu beraten.«
»Solange Ihr Euch bewusst seid, dass es nur eine Beratung ist, Siuan. Ich habe bereits zu viele Menschen um mich herum, die glauben, sie könnten mich als Marionette benutzen. Das werde ich von Euch nicht dulden.«
»Das werde ich genauso wenig versuchen, wie ich mich selbst als Marionette benutzen würde«, sagte Siuan trocken. »Ihr wisst, dass ich Euch niemals wirklich mochte. Vielleicht weil ich in Euch zu vieles von mir selbst wiedergefunden habe.«
»In diesem Fall«, erwiderte Egwene in gleichermaßen trockenem Tonfall, »könnt Ihr mich Egwene nennen. Wenn wir allein sind. Und nun setzt Euch und erzählt mir, warum der Saal noch immer hier sitzt und wie ich sie in Bewegung bringen kann.«
Siuan zog einen der Stühle heran, bevor sie sich erinnerte, dass sie ihn jetzt mit Saidar bewegen konnte. »Sie sitzen noch, weil sich die Weiße Burg spalten wird, wenn sie sich erst regen. Und wenn ich Euch raten soll, wie Ihr sie in Bewegung bringen könnt …« Es folgte ein sehr ausführlicher Ratschlag. Einiges davon bewegte sich in Bahnen, an die Egwene auch schon gedacht hatte, und alles schien vernünftig.
In ihrem Zimmer in der Kleinen Burg goss Romanda Pfefferminztee für drei weitere Schwestern ein; nur eine von ihnen war eine Gelbe. Der Raum befand sich an der Rückseite der Burg, aber die Geräusche der Festlichkeiten drangen dennoch bis hierher. Romanda missachtete sie gewissenhaft. Diese drei waren
Weitere Kostenlose Bücher