Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
auf ihre Behüter, und al’Thor gehörte jetzt ihr, wie auch immer sie ihm den Bund aufgedrängt hatte. Die Achtung verlor sich, wenn es darum ging. Merana wartete noch, bis der Hagebuttentee eingegossen war und jedermann wieder saß. Sie befahl sogar Verin und Alanna, sich hinzusetzen. Vielleicht kam ihre Handlungsweise einem Vergehen doch nicht so nahe.
»Ich habe es erwogen«, fuhr sie schließlich fort, »und wieder verworfen. Ich hätte es vielleicht getan, wenn Ihr nicht nach Eurem Gutdünken gehandelt hättet, Alanna, aber er ist den Aes Sedai gegenüber jetzt so misstrauisch, dass er mir vielleicht sehr wohl ins Gesicht lachen könnte, wenn ich es ihm vorschlüge.«
»Er ist genauso hochmütig wie jeder andere König«, sagte Seonid verächtlich.
»Er ist alles, was Elayne und Nynaeve gesagt haben, und mehr«, fügte Masuri kopfschüttelnd hinzu. »Er behauptet zu wissen, wann eine Frau die Macht lenkt. Ich hätte Saidar fast umarmt, um ihm zu zeigen, dass er sich irrt, aber natürlich hätte ich ihn zu sehr beunruhigen können.«
»Alle diese Aiel.« Seonids Stimme klang angespannt. Sie war wahrhaftig Cairhienerin. »Männer und Frauen. Ich denke, sie hätten uns aufzuspießen versucht, wenn wir auch nur zu schnell geblinzelt hätten. Eine blonde Frau, die zumindest Röcke trug, gab sich keine Mühe, ihre Abneigung zu verbergen.«
Manchmal, dachte Merana, erkannte Seonid gar nicht, dass al’Thor selbst in Gefahr sein könnte.
Alanna kaute unbewusst wie ein Kind auf der Unterlippe. Es war gut, dass Verin sich um sie kümmerte. Sie war in ihrem Zustand noch nicht fähig, allein zurechtzukommen. Verin trank nur ihren Tee und beobachtete. Verins Blicke konnten höchst beunruhigend sein.
Merana merkte, dass sie nachgiebiger wurde. Sie erinnerte sich zu gut an das zerbrechliche Nervenbündel, das sie nach Barans Tod gewesen war. »Glücklicherweise scheint sein Misstrauen auch etwas Gutes zu haben. Er hat in Cairhien eine Abordnung Elaidas empfangen. Er hat recht offen darüber gesprochen. Das Misstrauen wird ihn gewiss dazu veranlassen, sie auf Abstand zu halten.«
Seonid stellte ihre Tasse ab. »Er will uns gegeneinander ausspielen.«
»Und das könnte er noch immer tun«, sagte Masuri trocken, »aber wahrscheinlich wissen wir mehr über ihn als Elaida. Ich denke, sie hat ihre Gesandten zu einem Schafhirten geschickt, wenn auch zu einem Schafhirten im Seidengewand. Was auch immer er ist – ein Schafhirte ist er jedenfalls nicht mehr. Moiraine hat ihn anscheinend gut unterrichtet.«
»Wir waren vorgewarnt«, sagte Merana. »Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie es auch waren.«
Alanna blinzelte sie an. »Dann habe ich nicht alles verdorben?« Alle drei Frauen nickten, und sie atmete tief durch und glättete dann stirnrunzelnd ihre Röcke, als hätte sie die Falten gerade erst bemerkt. »Ich könnte ihn immer noch dazu bringen, mich anzunehmen.« Alannas Stimme wurde mit jedem Wort ruhiger und zuversichtlicher. »Was seine Amnestie betrifft, so sollten wir jegliche Pläne im Moment ruhen lassen, aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht vorbereiten sollten.«
Merana bedauerte bereits ihre Nachgiebigkeit. Die Frau hatte einem Mann das angetan, und das Einzige, was sie kümmerte, war, ob es ihren Erfolg gefährdete. Sie musste jedoch auch widerwillig zugeben, dass sie ebenfalls alles außer Acht gelassen hätte, wenn es al’Thor fügsam gemacht hätte. »Zuerst müssen wir uns al’Thor gefügig machen. Die Pläne werden so lange wie nötig ruhen, Alanna.« Alanna biss die Zähne zusammen, aber kurz darauf nickte sie ergeben. Oder zumindest zustimmend.
»Und wie machen wir ihn uns gefügig?«, fragte Verin. »Er muss vorsichtig behandelt werden. Er ist wie ein Wolf an einer dünnen Leine.«
Merana zögerte. Sie hatte nicht ihr ganzes Wissen mit diesen beiden teilen wollen, die dem Saal in Salidar nur eine äußerst dürftige Treue entgegenbrachten. Sie fürchtete, was geschehen würde, und wenn Verin die Macht zu übernehmen versuchte, wenn es ihr tatsächlich gelänge. Sie wusste, wie man damit umgehen musste. Sie war auserwählt worden, weil sie ihr ganzes Leben damit verbracht hatte, bei Streitigkeiten zu vermitteln und Verträge auszuhandeln, wenn der Hass unversöhnlich schien. Solche Vereinbarungen wurden gelegentlich gebrochen, und nicht eingehaltene Verträge lagen in der Natur des Menschen, und doch war der Fünfte Vertrag von Falme in sechsundvierzig Jahren ihr einziger
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