Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
sehen – sie wagte es nicht, den Blick von ihrer Arbeit abzuwenden –, und doch konnte sie Birgitte spüren, als kleine Ansammlung felsenfesten Vertrauens in ihrem Kopf, genug Vertrauen, dass es sie erfüllte.
Schweiß lief ihr über das Gesicht, den Rücken und den Bauch hinab, bis sie sich auch selbst ›glatt‹ zu fühlen begann. Ein Bad wäre heute Abend höchst willkommen. Nein, daran durfte sie jetzt nicht denken. Alle Aufmerksamkeit musste den Fäden gelten. Sie zitterten in ihrem Griff, sobald sie einen berührte, aber sie lösten sich noch immer, und jedes Mal, wenn ein Faden zu zucken begann, schien sich ein weiterer aus der Masse zu lösen, zu plötzlich, um deutlich erkennbar zu sein, da zuvor nur eine feste Masse Saidar da gewesen war. Aus ihrem Blickwinkel erinnerte das Wegetor an ein schreckliches, verzerrtes Wesen am Grund eines Teichs, von zuckenden Ranken umgeben, die wuchsen, sich wanden und verschwanden, nur um durch neue ersetzt zu werden. Die für jedermann sichtbare Öffnung dehnte sich an den Rändern und veränderte beständig ihre Gestalt und sogar die Größe. Elaynes Beine begannen zu zittern, und die Anstrengung beeinträchtigte ihr Sehvermögen ebenso wie der Schweiß. Sie wusste nicht, wie viel länger sie noch weitermachen konnte. Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte. Ein Faden nach dem anderen. Ein Faden nach dem anderen …
Tausend Meilen entfernt, weniger als hundert Schritt durch das zitternde Wegetor, rannten Dutzende von Soldaten um die weißen Gebäude des Bauernhofs herum, kleine Männer mit Armbrüsten, braunen Brustharnischen und bemalten Helmen, die wie die Köpfe riesiger Insekten aussahen. Hinter ihnen kam eine Frau mit roten Abzeichen, einem Silberblitz auf den Röcken und einem Armband um ihr Handgelenk; die daran befestigte silberne Leine war mit dem Band um den Hals einer Frau in Grau verbunden. Danach kamen eine weitere Sul’dam und ihre Damane und noch ein weiteres Paar. Eine der Sul’dam deutete auf das Wegetor, und plötzlich umhüllte das Schimmern Saidars ihre Sul’dam .
»Runter!«, schrie Elayne und ließ sich rückwärtsfallen, außer Sicht des Bauernhofs, als ein silberblauer Blitz mit ohrenbetäubendem Brüllen durch das Wegetor schoss und sich wild in alle Richtungen ausbreitete. Ihre Haare sträubten sich. Alle Strähnen versuchten sich einzeln aufzurichten, und donnernde Erdfontänen brachen auf, wo immer einer der Ausläufer des Blitzes auftraf. Erde und Steine regneten auf sie herab.
Elaynes Hörvermögen kehrte jäh zurück, und sie nahm die Stimme eines Mannes von der anderen Seite der Öffnung in undeutlichem, gedehntem Tonfall wahr, der ihr ebenso eine Gänsehaut verursachte wie die Worte. »… müsst sie lebend gefangen nehmen, ihr Narren!«
Plötzlich sprang einer der Soldaten unmittelbar vor ihr auf die Wiese. Birgittes Pfeil bohrte sich durch die auf seinen Lederbrustharnisch gepresste Faust. Ein zweiter seanchanischer Soldat stolperte über den ersten, als dieser hinfiel, und Aviendhas Gürteldolch stak bereits in seiner Kehle, bevor er sich wieder aufrappeln konnte. Ein Pfeilhagel wurde von Birgittes Bogen abgeschossen. Sie hatte einen Stiefel auf die Zügel ihres Pferdes gestellt und lächelte grimmig, während sie schoss. Die Pferde warfen zitternd die Köpfe hoch und tänzelten, als wollten sie sich losreißen und davonlaufen, aber Birgitte stand nur da und schoss, so schnell sie die Pfeile einlegen konnte. Schreie von jenseits des Wegetors zeigten an, dass Birgitte Silberbogen noch immer mit jedem abgeschossenen Pfeil traf. Die Antwort erfolgte, schnell wie ein schlechter Gedanke. Schwarze Striche, Armbrustpfeile. So rasch, alles geschah so rasch. Aviendha fiel zu Boden, Blut lief über die Finger, die ihren rechten Arm umklammerten, aber sie ließ ihre Wunde sofort wieder los, kroch vorwärts, suchte auf dem Boden mit angespanntem Gesicht nach dem Angreal . Birgitte schrie auf. Sie ließ den Bogen fallen und umfasste ihren rechten Oberschenkel, aus dem ein Pfeil ragte. Elayne spürte den Schmerz so stark, als wäre es ihr eigener.
Sie ergriff in ihrer halb auf dem Rücken liegenden Stellung verzweifelt einen weiteren Faden des Gewebes. Und erkannte nach einem Zug entsetzt, dass sie nicht mehr tun konnte, als ihn nur festzuhalten. Hatte sich der Faden bewegt? Hatte er sich überhaupt ein Stück gelöst? Wenn dem so war, wagte sie ihn nicht loszulassen. Der Faden zitterte in ihrem Griff.
»Lebend, sagte ich!«,
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