Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
Gesicht gewesen –, und er stolperte.
»Wenn du betrunken gekommen bist, Nuli«, sagte Frau Harfor entschieden, »wirst du es auf dem Nachhauseweg bitter bereuen. Dafür werde ich höchstpersönlich sorgen!«
»Ja, Herrin«, murmelte Rand und riss an der Locke. In seinem Kopf brach Lews Therin in ein gackerndes, verrücktes, schluchzendes Gelächter aus. Er hatte diesem Ort einen Besuch abstatten müssen – das war unumgänglich –, aber er bedauerte es schon jetzt.
Vom Licht Saidars umgeben standen sich Nynaeve und Talaan vier Schritte voneinander entfernt vor dem Kamin gegenüber, in dem ein munteres Feuer prasselte, das die Kälte aus der Luft vertrieben hatte. Vielleicht war es aber auch nur die Anstrengung, die sie erwärmt hatte, dachte Nynaeve mürrisch. Diese Unterrichtsstunde dauerte laut der verzierten Uhr auf dem Kaminsims nun schon über eine Stunde. Eine Stunde ununterbrochener Arbeit mit der Macht würde jeden zum Schwitzen bringen. Eigentlich hätte Sareitha hier sein sollen und nicht sie, aber die Braune war nicht im Palast. Sie hatte einen Zettel hinterlassen, demzufolge sie eine dringende Besorgung in der Stadt zu erledigen hatte. Careane hatte sich nun schon den zweiten Tag hintereinander geweigert und Vandene weigerte sich noch immer grundsätzlich, und zwar mit der lächerlichen Begründung, dass Kirstians und Zaryas Unterricht ihr dazu keine Zeit mehr ließ.
»So geht das«, erklärte Nynaeve und band mit ihrem Strom aus Geist den Abwehrversuch der jungen Frau vom Meervolk mit der knabenhaften Figur. Sie verstärkte die Kraft ihres Stroms, stieß den des Mädchens noch weiter zur Seite und flocht gleichzeitig drei verschiedene Gewebe aus Luft. Eines davon kitzelte Talaans Rippen durch ihre blaue Leinenbluse hindurch. Ein simples Ablenkungsmanöver, aber das Mädchen keuchte überrascht auf, und einen Augenblick lang ließ ihr Zugriff auf die Quelle um eine winzige Kleinigkeit nach, flackerte die Macht, die sie erfüllte. Diesen Moment nutzte Nynaeve dazu, den Stoß, mit dem sie gerade den Strom der anderen Frau zur Seite schob, umzulenken und erneut auf ihr ursprüngliches Ziel zuschnellen zu lassen. Talaan die Abschirmung aufzuzwingen fühlte sich noch immer an, als würde man gegen eine Wand schlagen – nur dass ihre ganze Haut brannte statt nur ihre Handfläche, was man aber kaum als Fortschritt bezeichnen konnte –, aber der Schein von Saidar verschwand in genau dem Augenblick, in dem die beiden anderen Ströme aus Luft ihr die Arme an die Seiten fesselten und die Knie in den weiten, dunklen Hosen zusammenschnürten.
Das hatte sie sauber hinbekommen. Das Mädchen war sehr flink, sehr geschickt mit ihren Geweben. Davon abgesehen war der Versuch, jemanden abzuschirmen, der gerade die Macht lenkte, bestenfalls riskant und schlimmstenfalls nutzlos, es sei denn, man war bedeutend stärker als die betreffende Person, und Talaan kam ihr darin so nahe, dass es eigentlich keinen Unterschied machte. Das half, kein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen zu lassen. Es schien noch gar nicht so lange her zu sein, dass Schwestern ihre Kraft mit Staunen betrachtet und geglaubt hatten, nur einige der Verlorenen würden über eine noch größere Stärke verfügen. Talaan war in ihrer Entwicklung noch nicht zum Stillstand gekommen, dabei war sie kaum mehr als ein Kind. Wie alt war sie? Fünfzehn? Vielleicht sogar noch jünger. Das Licht allein kannte ihr Potenzial. Keine der Windsucherinnen hatte ein Wort darüber verloren, und Nynaeve hatte nicht vor, danach zu fragen. Sie wollte gar nicht wissen, wie viel stärker das Meervolk-Mädchen noch werden würde. Nicht im Mindesten.
Talaans nackte Fußsohlen schabten über den gemusterten grünen Teppich, als sie den vergeblichen Versuch unternahm, die von Nynaeve mühelos gehaltene Abschirmung zu durchbrechen, dann seufzte sie ergeben und senkte den Blick. Obwohl es ihr gelungen war, Nynaeves Anweisungen zu befolgen, benahm sie sich, als hätte sie versagt, und nun sackte sie so niedergeschlagen in sich zusammen, dass der Eindruck entstand, sie würde nur noch von den Geweben aus Luft auf den Beinen gehalten.
Nynaeve ließ die Ströme sich auflösen, rückte die Stola zurecht und öffnete den Mund, um Talaan zu sagen, was sie falsch gemacht hatte. Und um – wieder einmal – zu betonen, dass der Versuch, sich losreißen zu wollen, keine Aussicht auf Erfolg hatte, falls man nicht bedeutend stärker als derjenige war, der einen abschirmte.
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