Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
fest und strich sich mit der anderen eine Haarlocke aus der Stirn. »Ja, Herrin«, murmelte er mürrisch und mit verstellter Stimme. Die Haushofmeisterin kannte seine wahre Stimme und würde sie womöglich erkennen. Min hatte das Reden übernehmen sollen, bis sie Nynaeve und Mat fanden. Was beim Licht sollte er nur tun, wenn sie Elayne anschleppte? Und vielleicht auch Aviendha. Sie war möglicherweise auch hier. Licht! »Entschuldigt bitte, Herrin, aber wir sollten uns beeilen. Es ist wichtig, dass ich Nynaeve so schnell wie möglich sehe.« Er hob die Ledertasche ein Stück an. »Sie wollte das hier wirklich ganz dringend haben.« Wenn er bei Mins Rückkehr alles erledigt hatte, würden sie vielleicht von hier verschwinden können, bevor er sich den beiden anderen stellen musste.
»Falls Nynaeve Sedai dies wirklich so dringend haben musste«, sagte die pummelige Frau spitz und betonte den Ehrentitel, den er unterschlagen hatte, »hätte sie dein Kommen angekündigt. Und jetzt folge mir und behalte deine Ansichten bitte für dich.«
Ohne auf eine Erwiderung zu warten, setzte sie sich in Bewegung und rauschte mit würdevoller Anmut durch die Korridore. Was blieb ihm auch anderes übrig, als genau das zu tun, was sie ihm befohlen hatte? Soweit er sich erinnerte, war die Haushofmeisterin daran gewöhnt, dass jeder das tat, was man ihm befahl. Er bemühte sich, sie einzuholen, und verweilte nur einen Schritt lang an ihrer Seite, bis ihr überraschter Blick ihn zurückfallen, sich verlegen an der Haarlocke zupfen und eine Entschuldigung murmeln ließ. Er war es nicht gewöhnt, hinter jemandem hergehen zu müssen. Das war seiner Stimmung nicht gerade förderlich. Wie gewöhnlich war ihm noch immer etwas schwindelig und der Schmutz des Makels war auch noch zu spüren. In letzter Zeit schien er öfters schlecht als gut gelaunt zu sein, es sei denn, Min war an seiner Seite.
Sie hatten noch keine große Strecke zurückgelegt, als die Korridore auch schon von Scharen von Dienern bevölkert wurden, die das Mobiliar auf Hochglanz polierten und Staub wischten und umhereilten. Offensichtlich kam es nur selten vor, dass niemand in der Nähe war, so wie eben, als Min und er die Abstellkammer verlassen hatten. Wieder einmal der Einfluss des Ta’veren . Es ging eine schmale, in die Mauern eingebaute Dienstbotentreppe hinunter, und nun begegneten sie noch mehr Dienern. Und noch etwas war interessant, es gab viele Frauen, die keine Livree trugen. Kupferhäutige Domani, kleinwüchsige hellhäutige Cairhienerinnen, Frauen mit olivfarbener Haut und dunklen Augen, bei denen es sich eindeutig nicht um Andoranerinnen handelte. Sie ließen Rand lächeln; es war ein schmales, zufriedenes Lächeln. Keine von ihnen hatte ein Gesicht, das die Bezeichnung alterslos verdient hätte, und viele hatten Falten und Runzeln, die man niemals bei einer Aes Sedai gesehen hätte, aber bei einigen von ihnen bekam er im Vorbeigehen manchmal eine Gänsehaut. Sie konnten die Macht lenken oder zumindest Saidar ergreifen. Frau Harfor führte ihn an verschlossenen Türen vorbei, wo sich dieses Kribbeln ebenfalls bemerkbar machte. Hinter diesen Türen gab es andere Frauen, welche die Macht lenkten.
»Entschuldigt, Herrin«, sagte er in der heiseren Stimme, die er für Nuli bemühte, »wie viele Aes Sedai halten sich im Palast auf?«
»Das geht dich nichts an«, fauchte sie. Dann warf sie jedoch einen Blick über die Schulter, seufzte und lenkte ein. »Ich nehme an, es kann keinen Schaden anrichten, wenn du es weißt. Es sind fünf, Lady Elayne und Nynaeve Sedai mitgezählt.« Eine Spur Stolz schlich sich in ihre Stimme ein. »Es ist lange her, dass so viele Aes Sedai gleichzeitig das Gastrecht erbaten.«
Rand hätte am liebsten gelacht, aber nicht, weil er es lustig fand. Fünf? Nein, das schloss ja Nynaeve und Elayne mit ein. Drei echte Aes Sedai. Drei! Und es spielte keine Rolle, wer die restlichen waren. Die Gerüchte, denen zufolge Hunderte Aes Sedai mit einem Heer auf Caemlyn zumarschierten, hatten in ihm langsam den Glauben reifen lassen, dass so viele von ihnen bereit waren, dem Wiedergeborenen Drachen zu folgen. Stattdessen war sogar seine Hoffnung, dass es wenigstens zwei Handvoll waren, übertrieben optimistisch gewesen. Die Gerüchte waren bloß Gerüchte gewesen. Oder einer von Elaidas sorgfältig ausgeheckten Plänen. Licht, wo steckte bloß Mat? Vor seinem inneren Auge blitzte es farbig auf – einen Augenblick lang glaubte er, es wäre Mats
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