Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
es mir vor einer Stunde sagten«, erklärte sie und erwiderte seinen Blick mit dem zärtlichsten Ausdruck in den Augen, den Elayne je gesehen hatte. »Aber ich wusste, ich hoffte, was passieren würde, solltest du sie wiedersehen. Manche Dinge müssen einfach sein, Rand. Sie müssen es einfach.«
Rand starrte in den Weinbecher. Momente schienen sich zu Stunden auszudehnen. Schließlich stellte er den Becher zurück. »Also gut«, sagte er leise. »Ich kann nicht sagen, dass ich das nicht will, weil ich es tue. Soll das Licht mich dafür zu Asche verbrennen! Aber denkt an den Preis. Denkt an den Preis, den ihr zahlen müsst.«
Elayne musste nicht über den Preis nachdenken. Der war ihr von Anfang an klar gewesen, sie hatte ihn mit Aviendha besprochen, um sicherzugehen, dass auch sie ihn verstand. Sie hatte ihn Min erklärt. Nimm dir, was du willst, und bezahle dafür, lautete ein altes Sprichwort. Keine von ihnen musste über den Preis nachdenken; sie kannten ihn und waren bereit, ihn zu zahlen. Aber es galt keine Zeit zu verschwenden. Selbst jetzt hielt sie ihn durchaus dazu fähig, dass ihm der Preis plötzlich zu hoch war und er sich dagegenentschied. Als wäre das seine Entscheidung!
Sie öffnete sich Saidar , ging mit Aviendha eine Verknüpfung ein und teilte mit ihr ein Lächeln. Wie immer war es eine Freude, mit ihrer Schwester Gefühle und physische Wahrnehmungen zu teilen; das war nun wesentlich intimer geworden, so wie die Fähigkeit, einander bewusst zu sein, viel stärker geworden war. Es ähnelte dem, was sie bald mit Rand teilen würden. Elayne hatte das sehr sorgfältig geplant, es aus jeder Richtung genau studiert. Dabei war ihr das, was sie von den Adoptions-Geweben der Aiel gelernt hatte, von großem Nutzen gewesen. Diese Zeremonie hatte sie überhaupt erst auf die Idee gebracht.
Sie wob sorgfältig Geist, ein Strom aus über hundert Strängen, von denen jeder genau den ihm zustehenden Platz erhielt, und hüllte die auf dem Boden sitzende Aviendha mit dem fertigen Gewebe ein, dann wiederholte sie es bei der auf der Tischkante sitzenden Min. In gewisser Weise handelte es sich gar nicht um zwei verschiedene Gewebe. Sie leuchteten mit einer präzisen Gleichförmigkeit, und wenn sie das eine betrachtete, kam es ihr so vor, als würde sie gleichzeitig das andere sehen. Es handelte sich nicht um die Gewebe der Adoptionszeremonie, aber sie unterlagen denselben Prinzipien. Sie verbanden miteinander; was eine mit diesem Gewebe verwobene Person erlebte, erlebten alle damit verwobenen. Sobald die Gewebe an Ort und Stelle waren, übergab sie die Führung des aus zwei Frauen bestehenden Zirkels an Aviendha. Die bereits erschaffenen Gewebe blieben bestehen und Aviendha wob sofort identische Gewebe um Elayne und auch um Min. Das zweite vermengte sie mit dem ersten, bis es von Elaynes nicht mehr zu unterscheiden war, dann reichte sie die Kontrolle zurück. Nach viel Übung gelang ihnen dies nun beinahe mühelos. Vier Gewebe, das heißt, nun waren es drei, aber sie schienen alle dieselben zu sein.
Alles war bereit. Aviendha war wie ein Fels in der Brandung, das personifizierte Selbstbewusstsein, so stark wie alles, was Elayne je von Birgitte wahrgenommen hatte. Min hielt die Knöchel übereinandergeschlagen und den Tischrand umklammert; sie konnte die Ströme nicht wahrnehmen, zeigte aber ein selbstsicheres Lächeln, das lediglich etwas dadurch verdorben wurde, dass sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Elayne holte tief Luft. Ihren Augen bot sich das Bild eines Netzes aus Geist, das die feinste Spitzenstickerei grob erscheinen ließ. Wenn es jetzt nur so funktionierte, wie sie angenommen hatte.
Sie griff gleichzeitig nach allen Geweben und zog sie in schmalen Bahnen bis zu Rand, wobei sie die drei Stränge zu einem verwob und daraus den Behüterbund erschuf. Sie hüllte Rand so sanft damit ein, als würde sie ein Baby mit seiner Decke zudecken. Der an den Faden eines Spinnennetzes erinnernde Strang aus Geist umhüllte Rand, drang in ihn ein. Er blinzelte nicht einmal, aber es war vollbracht. Sie ließ Saidar los. Das war es.
Er starrte sie ausdruckslos an und führte langsam die Finger an die Schläfen.
»Oh, Licht, Rand, die Schmerzen«, murmelte Min mit gequälter Stimme. »Ich habe es nicht gewusst, ich hatte ja keine Ahnung. Wie kannst du das ertragen? Da sind Schmerzen, von denen du nicht einmal zu wissen scheinst, als hättest du so lange mit ihnen gelebt, dass sie ein Teil von dir geworden
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