Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
welche Sonderrechte die Asha’man in Andor hatten.
Nadere war so groß wie die beiden Männer, die an der Tür standen, und beinahe so untersetzt wie die stämmigste Aiel, die Elayne gesehen hatte. Ihre grünen Augen blickten das vor ihr stehende Paar einen Moment lang forschend an, bevor sie es als unwichtig einstufte. Asha’man konnten Weise Frauen nicht beeindrucken. Das konnten nur wenige. Sie richtete mit klirrenden Armreifen ihr schwarzes, auf den Schultern liegende Tuch, ging zu Elayne und drehte Taim den Rücken zu. Trotz der Kälte trug sie lediglich das Schultertuch über der dünnen weißen Bluse, obwohl sie seltsamerweise einen schweren Wollumhang über den Arm gelegt hatte. »Ihr müsst jetzt mitkommen«, sagte sie zu Elayne, »sofort.« Taims Stirn umwölkte sich; zweifellos war er es nicht gewohnt, so gründlich ignoriert zu werden.
»Licht des Himmels!«, seufzte Dyelin und massierte sich die Schläfen. »Ich weiß nicht, was das soll, Nadere, aber es wird warten müssen …«
Elayne legte ihr die Hand auf den Arm. »Ihr wisst es nicht , Dyelin, und es kann nicht warten. Nadere, ich werde jeden wegschicken und Euch begleiten.«
Die Weise Frau schüttelte missbilligend den Kopf. »Ein Kind kurz vor der Geburt kann sich nicht die Zeit nehmen, Leute wegzuschicken.« Sie entfaltete den dicken Umhang. »Ich habe den hier mitgebracht, um Eure Haut vor der Kälte zu schützen. Vielleicht sollte ich ihn hier lassen und Aviendha sagen, dass Eure Sittsamkeit größer ist als Euer Verlangen nach einer Schwester.« Dyelin keuchte in plötzlichem Begreifen auf. Der Behüterbund zitterte vor Birgittes Wut.
Ihr blieb nur eine Möglichkeit. Und selbst diese Wahl war eigentlich keine. Sie ließ die Verknüpfung mit den beiden anderen Frauen und Saidar los. Der Schein um Renaile und Merilille blieb jedoch bestehen. »Seid Ihr so nett und helft mir mit den Knöpfen, Dyelin?« Elayne war stolz, wie beherrscht ihre Stimme klang. Sie hatte das erwartet. Nur nicht mit so vielen Zeugen!, dachte sie flüchtig. Sie wandte Taim den Rücken zu – so würde sie wenigstens nicht zusehen müssen, wie er sie beobachtete! – und begann mit den winzigen Ärmelknöpfen. »Dyelin, wärt Ihr so freundlich? Dyelin?«
Einen Augenblick später setzte sich Dyelin wie eine Schlafwandlerin in Bewegung und begann an den Knöpfen auf Elaynes Rücken herumzufummeln, während sie kopfschüttelnd etwas vor sich hin murmelte. Einer der Asha’man an der Tür kicherte.
»Umdrehen!«, fauchte Taim und an der Tür stampften Stiefel auf.
Elayne wusste nicht, ob er sich auch umgedreht hatte – sie war fest davon überzeugt, seine Blicke auf ihrem Körper zu spüren –, aber plötzlich war Birgitte da und Merilille und Reene und Zaida, und sogar Renaile, und sie standen Schulter an Schulter und bildeten stirnrunzelnd eine Mauer zwischen ihr und den Männern. Keine sehr gute Mauer. Keine von ihnen hatte ihre Größe und Zaida und Merilille reichten ihr nicht mal bis zur Schulter.
Konzentriere dich, dachte sie. Ich bin ganz ruhig. Ich bin entspannt. Ich bin … ich ziehe mich in einem Raum voller Leute splitternackt aus! Sie entkleidete sich so schnell, wie sie nur konnte, ließ Gewand und Unterkleid zu Boden fallen und warf Schuhe und Strümpfe obendrauf. Die kühle Luft verschaffte ihr eine Gänsehaut; wenn sie sie ignorierte, bedeutete das nur, dass sie nicht zitterte. Und der Gedanke, dass die Hitze in ihren Wangen damit zu tun hatte, war ihr angenehmer.
»Wahnsinn!«, murmelte Dyelin leise und griff sich die am Boden liegenden Kleider. »Absoluter Wahnsinn!«
»Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte Birgitte. »Soll ich dich begleiten?«
»Ich muss allein gehen«, entgegnete Elayne ebenfalls flüsternd. »Keine Widerrede!« Nicht dass Birgitte eine entsprechende Miene gemacht hätte, aber der Bund sprach Bände. Sie nahm die goldenen Ohrringe ab, gab sie Birgitte, zögerte kurz und fügte den Ring mit der Großen Schlange hinzu. Die Weisen Frauen hatten gesagt, sie müsste wie ein Kind bei der Geburt sein. Sie hatten viele Anweisungen erteilt, und niemandem zu sagen, was geschehen würde, hatte an allererster Stelle gestanden. Was das anging, wünschte sie sich, sie würde es wissen. Ein Kind wurde geboren, ohne zu wissen, was es erwartete. Birgittes Gemurmel hörte sich langsam an wie Dyelins.
Nadere trat mit dem Umhang vor, hielt ihn aber nur einfach hin; Elayne müsste ihn nehmen und sich schnell darin einwickeln. Sie glaubte
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