Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
hatte eine kleine Hoffnung. Er hatte ihr nicht befohlen, ihn einfach zu begleiten. Vielleicht kannte er sie ja doch nicht.
»Ihr habt Euch nach einem Schiffskapitän namens Egeanin Sarna erkundigt«, sagte er. »Warum?«
Die Hoffnung brach mit einem Ruck zusammen. »Ich habe nach einer alten Freundin gesucht«, stieß sie mit zitternder Stimme hervor. Die besten Lügen enthielten immer so viel Wahrheit wie möglich. »Wir waren zusammen in Falme. Ich weiß nicht, ob sie überlebt hat.« Einen Sucher anzulügen war Verrat, aber sie hatte ihren ersten Verrat bereits bei der Schlacht von Falme begangen, als sie desertiert war.
»Sie lebt«, sagte er kurz angebunden. Ohne den Blick von ihr zu wenden, setzte er sich auf das Bettende. Seine Augen waren blau und sie ließen in ihr den Wunsch entstehen, den Umhang nicht ausgezogen zu haben. »Sie ist eine Heldin, ein Hauptmann der Grünen, und jetzt die Lady Egeanin Tamarath. Hochlady Suroths Belohnung. Sie hält sich ebenfalls in Ebou Dar auf. Ihr werdet Eure Freundschaft mit ihr auffrischen. Und mir berichten, mit wem sie sich trifft, wohin sie geht, was sie sagt. Alles.«
Bethamin biss die Zähne zusammen, um zu verhindern, hysterisch zu lachen. Dem Licht sei Dank! Dem Licht in seiner unendlichen Gnade sei Dank! Sie hatte bloß wissen wollen, ob die Frau noch lebte, ob sie Vorsichtsmaßnahmen ergreifen musste. Egeanin hatte sie seinerzeit befreit, doch in den zehn Jahren, die Bethamin sie zuvor gekannt hatte, war sie ein Musterbild an Pflichterfüllung gewesen. Es hatte immer die Möglichkeit bestanden, dass sie diesen einen Fehltritt bereute, ganz egal, was es sie kosten würde, aber wie ein Wunder hatte sie das nicht. Und der Sucher war hinter ihr her und nicht …! Möglichkeiten breiteten sich vor ihr aus, Sicherheiten, und sie wollte nicht länger lachen. Stattdessen fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.
»Wie …? Wie kann ich unsere Freundschaft erneuern?« Es war sowieso nie Freundschaft gewesen, bloß eine Bekanntschaft, aber nun war es zu spät, das zu sagen. »Ihr habt mir gesagt, dass man sie zum Blut erhoben hat. Jede Annäherung muss von ihr kommen.« Furcht machte sie mutig. Und ließ Panik in ihr aufsteigen, genau wie in Falme. »Warum braucht Ihr mich als Lauscher? Ihr könnt sie wann immer Ihr wollt zur Befragung abholen.« Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Zunge zum Schweigen zu bringen. Licht, es gab nichts, das sie weniger wollte. Sucher waren die geheime Hand der Kaiserin, mochte sie ewig leben; im Namen der Kaiserin konnte er selbst Suroth der Befragung unterziehen, sogar Tuon. Sicher, er würde auf schreckliche Weise sterben, wenn sich herausstellte, dass er sich geirrt hatte, aber bei Egeanin war das Risiko nicht groß. Sie gehörte bloß dem Niederen Blut an. Wenn er sie der Befragung unterzog …
Sie war schockiert, als er ihr nicht einfach zu gehorchen befahl, sondern sitzen blieb und sie musterte. »Ich werde gewisse Dinge erklären«, sagte er und das war ein noch größerer Schock. Sucher erklärten niemals etwas, das hatte sie gehört. »Ihr werdet mir oder dem Reich nichts nützen, wenn Ihr nicht überlebt, und Ihr werdet nicht überleben, wenn Ihr nicht begreift, wem Ihr da gegenübertretet. Solltet Ihr auch nur ein Wort von dem, was ich Euch enthülle, irgendjemandem sagen, werdet Ihr davon träumen, im Turm des Raben zu sitzen, wenn Ihr das erduldet, wo Ihr dann sein werdet. Hört zu und lernt. Egeanin wurde nach Tanchico entsandt, bevor die Stadt an uns fiel, unter anderem als Teil der Bemühungen, Sul’dam zu finden, die in Falme zurückgelassen worden waren. Seltsamerweise konnte sie niemanden finden, ganz im Gegensatz zu anderen wie jenen, die Euch bei der Rückkehr halfen. Stattdessen hat Egeanin die Sul’dam , die sie aufspürte, ermordet. Ich selbst habe sie mit dieser Anschuldigung konfrontiert, und sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, es abzustreiten. Sie hat nicht einmal Wut oder gar Empörung gezeigt. Und was genauso schlimm ist, sie hat im Geheimen mit Aes Sedai verkehrt.« Er sprach den Namen nüchtern aus, nicht mit der üblichen Abscheu, sondern eher wie eine Anschuldigung. »Als sie Tanchico verließ, reiste sie auf einem Schiff, das von einem Mann namens Bayle Domon kommandiert wurde. Er hatte Ärger gemacht, weil sein Schiff geentert und enteignet worden war. Sie kaufte ihn und machte ihn auf der Stelle zum So’jhin , also ist er offensichtlich für sie von Bedeutung. Interessanterweise
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