Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
oder weniger seiner Beschreibung entsprachen, aber er hielt sich noch immer für den Jäger und nicht den Gejagten.
Du hast uns hergebracht, damit wir hier sterben!, stöhnte Lews Therin. Es ist fast so schlimm wie der Tod, hier sein zu müssen!
Rand zuckte unbehaglich mit den Schultern. Was Letzteres anging, stimmte er der Stimme sogar zu. Er würde genauso froh sein wie Lews Therin, wenn er diesen Ort wieder verlassen konnte. Aber manchmal blieb einem nur die Entscheidung zwischen schlecht und noch schlechter übrig. Rochaid war ein Stück vor ihm, beinahe in Reichweite. Allein das war jetzt von Bedeutung.
Die grauen, aus Steinen errichteten Läden und Gasthäuser, welche die Straße der Freude säumten, veränderten sich, je weiter sich Rand vom Amhara-Markt entfernte. Silberschmiede folgten auf Messerschmiede, die wiederum von Goldschmieden ersetzt wurden. Näherinnen und Schneider stellten Wolle statt bestickte Seidenstoffe und Brokat aus. Die Kutschen, die über die Pflastersteine ratterten, hatten jetzt Siegel auf die Türen gemalt und Gespanne aus vier oder sechs Pferden, die in Größe und Farben zusammenpassten, und viele Reiter saßen auf erstklassigen tairenischen Vollblütern oder ähnlich guten Tieren. Von Trägern transportierte Sänften wurden beinahe genauso zahlreich wie Fußgänger, und Leute in Livreen, die so hell waren wie jene der Träger, übertrafen die Zahl der Ladenbesitzer, die an Brust oder Schultern mit aufwendigen Stickereien versehene Mäntel trugen. Die Haarklammern der Männer waren nun mit Buntglas geschmückt oder gelegentlich mit Perlen oder kostbareren Edelsteinen, obwohl nur wenige Männer unterwegs waren, deren Frauen sich Juwelen leisten konnten. Allein der kalte Wind war derselbe und die Straßenhüter, die zu Dritt patrouillierten und aufmerksam nach Ärger Ausschau hielten. Es waren nicht so viele wie auf den Fremdenmärkten, aber sobald eine Patrouille aus der Sicht verschwand, tauchte eine andere auf, und dort, wo eine Straße, die größer als eine Gasse war, in die Straße der Freude mündete, gab es Wachtürme aus Stein, vor denen zwei Straßenhüter in Bereitschaft standen, falls der oben postierte Mann einen Unruhestifter erspähte. In Far Madding hielt man die Ordnung rigoros aufrecht.
Rand runzelte die Stirn, als Rochaid weiter die Straße entlangging. Konnte sein Ziel der Ratsherrinnenplatz sein, der sich in der Mitte der Insel befand? Es gab dort nichts bis auf die Ratsherrinnenhalle – ein Monument aus der Zeit vor fünfhundert Jahren, als Far Madding die Hauptstadt von Maredo gewesen war – und die Kontore der reichsten Frauen der Stadt. In Far Madding war ein reicher Mann jemand, dessen Frau ihm ein großzügiges Taschengeld zugestanden hatte oder ein Witwer, für den gesorgt worden war. Vielleicht traf sich Rochaid mit Schattenfreunden. Aber wenn dem so war, warum hatte der Mann gewartet?
Plötzlich überfiel ihn ein Schwindelgefühl und schlug wie eine Welle über ihm zusammen. Einen Augenblick lang stand ein undeutliches Gesicht vor seinem geistigen Auge, sodass er gegen einen Passanten taumelte. Der blonde Mann, der mit einer hellgrünen Livree bekleidet und größer als Rand war, rückte den großen Korb zurecht, den er trug, und wehrte Rand sanft ab. Sein sonnengebräuntes Gesicht wies auf der einen Seite eine lange, breite Narbe auf. Er senkte den Kopf, murmelte eine Entschuldigung und eilte weiter.
Rand richtete sich wieder auf und stieß einen lautlosen Fluch aus.
Du hast sie bereits vernichtet, flüsterte Lews Therin in seinem Kopf. Jetzt hast du einen anderen, den du vernichten kannst, und das vor der Zeit. Ich frage mich, wie viele wir drei vor dem Ende töten werden.
Halt den Mund!, dachte Rand wild, aber er erhielt nur gackerndes Gelächter zur Antwort. Es war nicht die Begegnung mit einem Aiel-Mann, die ihn aufbrachte. Seit der Ankunft in Far Madding hatte er viele von ihnen gesehen. Aus irgendeinem Grund waren Hunderte von Aiel, nachdem sie die Wahrheit über ihre Geschichte erfahren hatten, hier gelandet und versuchten, dem Weg des Blattes zu folgen, obwohl sie nicht mehr darüber wussten, als dass sie lebenslang als Gai’shain dienen sollten. Er war nicht einmal wegen der Gleichgewichtsstörung besorgt oder wegen des unbekannten Gesichts, das er jedes Mal zur Hälfte erblickte, wenn sie ihn übermannte. Voraus ratterte eine von sechs Grauschimmeln gezogene Kutsche durch den Strom aus Sänften und dahineilenden Livrierten, und
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