Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
nicht brauchte. Sehr seltsam. »Ihr dürft uns den Weg zeigen, Lord Kayen.« Er nickte bloß und wendete sein Pferd.
Einige Shienarer sahen Aviendha ausdruckslos an, da sie sie als Aiel erkannten, aber die meisten trieben nur ihre Pferde an und schlossen sich ihnen an. Die Stille während des kurzen Ritts wurde nur von den Hufen gebrochen, die den unter dem Neuschnee liegenden Schnee knirschend zertraten. Elayne hatte recht gehabt. Das shienarische Lager war ganz in der Nähe. Schon Minuten später kamen mit Rüstungen bekleidete Wachposten in Sicht und kurz darauf ritten sie in das Lager.
Das zwischen den Bäumen liegende Heerlager erschien größer, als sie erwartet hatte. Ob sie nun nach links, recht oder geradeaus sah, so weit das Auge reichte, breiteten sich Zelte und Kochfeuer, Halteseile mit angebundenen Pferden und Reihen mit Wagen aus. Soldaten schauten neugierig zu ihnen auf, als sie und ihre Eskorte vorbeiritten, hartgesichtige Männer, deren Köpfe bis auf einen Haarschopf in der Mitte, der manchmal bis zu den Schultern reichte, völlig glatt rasiert waren. Nur wenige trugen Teile ihrer Rüstungen, aber Waffen und Panzer lagen immer in Reichweite. Der Geruch war nicht so schlimm, wie Merilille behauptet hatte, aber der Geruch dessen, was auch immer in den Kesseln vor sich hin kochte, konnte den Gestank von Latrinen und Pferdedung nicht ganz überdecken. Keiner schien zu hungern, obwohl viele sehr schlank waren. Aber es war nicht die Schlankheit von Hunger, sondern die von Männern, die nie besonders dick gewesen waren. Ihr fiel auf, dass über keinem Feuer ein Spieß zu sehen war. Fleisch würde schwerer zu besorgen sein als Getreide, obwohl Korn in dieser Phase des Winters ebenfalls knapp wurde. Gerstensuppe konnte einem Mann nicht dieselbe Kraft wie Fleisch geben. Sie mussten bald weiterziehen; kein Ort konnte vier Heere dieser Größe für lange Zeit ernähren. Sie musste nur dafür sorgen, dass sie in die richtige Richtung zogen.
Natürlich war nicht jeder Mann ein Soldat mit geschorenem Kopf, obwohl die anderen beinahe genauso unbeugsam aussahen. Es gab Wagner, die an Fuhrwerken arbeiteten; Hufschmiede, die Pferden neue Hufeisen anpassten; Wäscherinnen, die in kochenden Kesseln umrührten; Frauen, die nähten, bei denen es sich entweder um Näherinnen oder Ehefrauen handelte. Einem Heer folgten immer viele Menschen, manchmal genauso viele, wie es Soldaten gab. Aber sie entdeckte niemanden, der eine Aes Sedai hätte sein können; natürlich war es unwahrscheinlich, dass sich Schwestern die Ärmel hochkrempelten und mit Holzlöffeln Waschkessel umrührten oder sich hinsetzten und Hosen flickten. Warum blieben sie in ihren Verstecken? Sie widerstand dem Verlangen, die Quelle zu umarmen, durch das an ihrer Brust angesteckte Angreal in Form einer Schildkröte Saidar aufzunehmen. Eine Schlacht nach der anderen und zuerst musste sie für Andor kämpfen.
Kayen stieg vor einem Zelt vom Pferd. Das Zelt war beträchtlich größer als alle anderen und bestand aus hellem Segeltuch mit einem einzigen Spitzkegel. Er half ihr herunter. Er wusste nicht, ob er bei Aviendha und Birgitte das Gleiche tun sollte und zögerte, aber die Behüterin löste sein Dilemma, indem sie anmutig abstieg und die Zügel einem bereitstehenden Soldaten gab, während die Aiel mehr oder weniger vom Sattel fiel. Aviendha hatte ihre Reitfertigkeiten verbessert, aber Aufsitzen und Absteigen bereiteten ihr noch immer Probleme. Sie schaute finster in die Runde, um zu sehen, ob jemand lachte, dann glättete sie die voluminösen Röcke, wickelte das Tuch vom Kopf und drapierte es sich um die Schultern. Birgitte sah zu, wie ihr Pferd fortgeführt wurde, und es hatte den Anschein, als wünschte sie, Bogen und Köcher vom Sattel genommen zu haben. Kayen öffnete einen der Zelteingänge und verbeugte sich.
Mit einem letzten tiefen Atemzug führte Elayne die beiden anderen Frauen hinein. Sie konnte nicht zulassen, dass man sie als Bittstellerin betrachtete. Sie war nicht gekommen, um zu betteln oder um sich zu verteidigen. Es wird Situationen geben, hatte ihr Gareth Bryne als Kind einmal gesagt, in denen Ihr Euch einer Überzahl gegenübersehen werdet, ohne einen Fluchtweg zu haben. Tut immer das, womit Euer Feind am wenigsten rechnet, Elayne. In diesem Fall müsst Ihr angreifen. Sie musste von Anfang an angreifen.
Merilille kam ihr über die Teppiche am Boden entgegengerauscht. Das Lächeln der zierlichen Grauen konnte man nicht unbedingt als
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