Das Rätsel der dritten Meile
zurück.»
Der Schaffner eilte in großen Sätzen davon.
«Ich habe, bevor Sie gehen, noch eine Bitte an Sie», sagte der Mann auf dem geschotterten Damm mit schwacher Stimme. «Ich möchte, daß Sie sich mit Chief Inspector Morse von der Thames Valley Police in Verbindung setzen... Sagen Sie ihm, ich sei auf dem Weg zu ihm gewesen... Sagen Sie ihm, ich hätte es getan, verstehen Sie — ich...» Er wußte nicht, daß er zu sich selber sprach, daß niemand ihn hörte.
Plötzlich schien die Sonne vor seinen Augen zu explodieren, und ein schneidender Schmerz zuckte durch seinen Kopf. In einer unerhörten Willensanstrengung gelang es ihm, die Augen zu öffnen, doch um ihn herum blieb alles dunkel. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht und rann ihm salzig in den halbgeöffneten Mund. Er hatte ein Taschentuch bei sich, das wußte er — es steckte in seiner Hosentasche. Aber er wollte ein sauberes. Er hatte doch neulich gerade erst einen ganzen Vorrat gekauft... In dem kleinen Laden in der Turl Street... gleich um die Ecke vom Lonsdale College...
Ein älterer Mann mit Brille, ein Chirurg auf dem Weg zum Swindon General Hospital, kniete sich neben dem Mann auf dem Damm nieder. Nach einer kleinen Weile sah er zu dem Schaffner auf und schüttelte langsam den Kopf — für diesen Mann kam jede Hilfe zu spät.
Dreiunddreißigstes Kapitel
Sonnabend, 2. August
Noch immer weiß man nicht, wer der Tote ist, den man bei Thrupp aus dem Kanal geborgen hat. Dies ist um so erstaunlicher, als sich die Zahl derer, die als Opfer in Frage kamen, inzwischen drastisch reduziert hat.
Am Mittwoch nachmittag hatte Morse, kaum daß er von seinem Gespräch mit dem Superintendent zurück war, Lewis eröffnet, daß nun die Reihe an ihm sei, nach London zu fahren. Er solle gleich morgen aufbrechen, es gebe dort eine Menge zu erledigen: Protokolle seien aufzunehmen, bestimmte noch offene Fragen zu klären, und nicht zuletzt solle er den Kollegen von der Metropolitan Police seine, Morse’, Entschuldigung überbringen. Lewis hatte sich geduldig alles angehört und nur dann und wann zustimmend genickt. Am nächsten Morgen war er losgefahren. Er hatte zwei Tage gebraucht, um die vielen ihm von Morse übertragenen Aufgaben zu erledigen, doch am Freitag abend hatte er alles gut hinter sich gebracht, und jetzt war er auf dem Heimweg. Wie immer am Samstagmorgen war relativ wenig Verkehr auf der Autobahn, und so konnte er ohne allzu viele Gewissensbisse seinem Laster frönen, dem Schnellfahren.
Während er so auf der M 40 Richtung Oxford raste, dachte er, daß sein Abstecher nach London alles in allem doch recht erfolgreich verlaufen sei. Gleich nach seiner Ankunft hatte er zunächst bei der Metropolitan Police vorbeigeschaut. Die Kollegen dort, die meisten aus London gebürtig und mehr oder weniger stark Cockney sprechend, waren ein freundlicher Haufen und hatten ihn überaus herzlich in ihrer Mitte aufgenommen. Sie wußten, daß Morse den Ruf hatte, ein brillanter Mann zu sein und hatten ihm, selbst allesamt gewiefte und kompetente Kriminalisten, längst verziehen. Eine Erklärung für Morse’ Verhalten hätten sie allerdings schon gern gehabt, aber damit konnte Ihnen der Sergeant nicht dienen. Morse hatte über das, was er nach der Entdeckung der Leiche im Cambridge Way gemacht hatte, mehr oder weniger Stillschweigen bewahrt. Über einige Dinge herrschte, dank der schnellen Ermittlungen der Londoner, bereits am Donnerstag Gewißheit. So war der im Wandschrank aufgefundene Tote inzwischen identifiziert als Alfred Gilbert, Immobilienmakler, ledig, mit Wohnsitz London. Tatwerkzeug war der in der Wohnung gefundene Schraubenzieher, auf dessen Griff man einige Fingerabdrücke sichergestellt hatte, die jedoch zu undeutlich waren, als daß man mit ihnen wirklich etwas hätte anfangen können. (Das wird Morse freuen, hatte Lewis gedacht.) , außer Morse der einzige andere Zeuge am Tatort, war weiterhin verschwunden, was keinen der Beamten sonderlich überrascht hatte, nachdem festgestellt worden war, daß Cambridge Way 29 nicht von einem Hausmeister, sondern seit Jahren schon von einer Putzfrau betreut wurde, die jeden Tag für ein paar Stunden vorbeikam. Erstaunt hatte sie dagegen die detaillierte Personenbeschreibung dieses , die ihnen Morse via Lewis hatte übermitteln lassen. Sie enthielt so gut wie alle Angaben, die man sich als Kriminalbeamter nur wünschen konnte: Alter, Augenfarbe, Gewicht, Körper- und
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