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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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sieben Uhr hatte ihm das Zimmermädchen wie bestellt den Tee gebracht, und danach war er noch einmal für fast zwei Stunden eingeschlafen. Beim Aufwachen waren seine Kopfschmerzen fast verschwunden; er hatte nur noch einen dumpfen Druck gespürt, der erträglich war. Für einen Moment war er beinahe glücklich gewesen, doch dann hatte die Erinnerung an die letzten Tage eingesetzt, und mit seinem Frieden war es vorbei gewesen.
    «Mr. Smith? Mr. Smith?»
    Beim zweitenmal hörte er sie und stand auf. Die Rechnung war fertig, er bezahlte in bar.
    Vom Bahnhofshotel aus (demselben, auf dessen Toilette Westerby sich nur eines Teils seiner Bürde hatte entledigen können) ging er direkt in die Bahnhofshalle und trat vor eine der großen Tafeln, auf denen die Abfahrtszeiten der Züge angegeben waren. Doch sooft er versuchte, den Blick auf eine bestimmte Zeile zu fixieren, verschwamm ihm alles vor Augen, und schließlich gab er resigniert auf. Es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als jemanden zu fragen. Er ging auf das Häuschen neben der Sperre zu.
    «Können Sie mir sagen, wann der nächste Zug nach Oxford geht?»
    «Genau um halb elf. Bahnsteig 9. Sie müssen in...»
    «Danke.»
    Als er keuchend den Bahnsteig erreichte, stand der Zug schon da, der Schaffner war gerade dabei, die Türen zu schließen. Mit letzter Kraftanstrengung schaffte er es, sich die steilen Stufen hinauf in einen Erste-Klasse-Waggon zu schleppen. Er suchte sich ein leeres Abteil, ließ sich aufatmend in die Polster sinken und lehnte den Kopf zurück...
    Eine halbe Stunde später riß ihn eine unsanfte Bremsung heftig nach vorn. Er blickte aus dem Fenster — Reading. Als der Zug anfuhr, lehnte er erneut den Kopf zurück und schloß die Augen. Es würde nun nicht mehr lange dauern, dann war er da...
    Wieder eine halbe Stunde später wurde er durch das Eintreten des Schaffners geweckt.
    «Die Fahrkarten bitte.»
    Er hatte sie vorhin extra griffbereit in die Jackettasche gesteckt, doch jetzt hatte er Mühe, sich daran zu erinnern — die Kopfschmerzen machten auch den einfachsten Gedanken nahezu unmöglich.
    «Ist das ihre Fahrkarte, Sir?»
    «Ja, warum?»
    «Es tut mir leid, aber dieser Zug hier fährt nicht nach Oxford, sondern nach Swindon. Sie hätten eben in Didcot umsteigen müssen.»
    «Ich verstehe nicht...»
    «Dieser Zug fährt nach Swindon, nicht nach Oxford», wiederholte der Schaffner geduldig.
    «Aber ich muß nach Oxford! Ich...»
    «Da ist im Moment nichts zu machen, Sir. Steigen Sie bei der nächsten Station aus und fahren Sie zurück nach Didcot. Wenn Sie Glück haben, brauchen Sie nicht lange zu warten und haben gleich Anschluß nach Oxford.»
    «Dann ist es zu spät!»
    Der Schaffner sah ihn mitfühlend an. «Ich würde Ihnen gern helfen...» Er zuckte hilflos die Achseln. «Aber eins kann ich immerhin machen, ich erlasse Ihnen das Nachlösen für die Strecke Didcot — Swindon und zurück. Sie haben, weiß Gott, ja auch so schon genug Ärger gehabt.»
    Nachdem der Schaffner gegangen war, ließ er sich wieder in die Polster zurücksinken. War es ihm gerade eben noch wichtig gewesen, nach Oxford zu kommen, so kam es jetzt plötzlich nur noch darauf an, nicht das Bewußtsein zu verlieren. Die Zähne zusammengepreßt, die Hände zu Fäusten geballt wartete er darauf, daß der Schmerz nachließ.
    Mit sanftem Ruck kam der Zug zum Stehen.
    Er erhob sich, überrascht, daß er überhaupt in der Lage war, sich auf den Beinen zu halten, steckte sein schweißnasses Taschentuch in die Hosentasche, zog den Koffer von der Ablage und ging mit unsicheren Schritten den Gang entlang zur Tür am Ende des Waggons. Im Moment, als er sie öffnete, wurde ihm schwarz vor Augen, und er spürte, wie er fiel. Spitze Schottersteine bohrten sich in seine Wange, doch es machte ihm nichts aus. Er öffnete die Augen und blickte mit heiterem Lächeln in die strahlende Sonne über sich — zum erstenmal seit Monaten spürte er im Kopf keine Schmerzen mehr.
    «Haben Sie sich verletzt, Sir?»
    Der Schaffner kniete neben ihm nieder. Von weit her hörte er Stimmengewirr.
    «Es tut mir leid... Es tut mir leid, daß ich...»
    «Lassen Sie mich Ihnen aufhelfen, Sir.»
    «Nein, ich möchte hier liegenbleiben.»
    Lächelnd schloß er die Augen. Doch die Sonne wollte nicht verschwinden, wurde heller und größer und schien auf ihn zuzurasen. Ihm wurde schwindelig, doch noch immer spürte er keinerlei Schmerz.
    «Ich gehe und hole Hilfe, Sir. Ich bin gleich wieder

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