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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Australiers, auf dem sich Überraschung in milden Schrecken zu wandeln begann, zum zweiten den Titel des Buches, das der Mann gelesen hatte. Er lautete: Führer durch das Köchelverzeichnis.
    Es fugt sich, daß der Australier über diese Episode niemals zu irgend jemandem sprechen wird. Doch selbst wenn, würde er es wohl kaum für wichtig erachtet haben, jenen rätselhaften Augenblick, kurz bevor die Tür sich vor den beiden Männern öffnete und dann gleich wieder schloß, zu erwähnen, jenen kurzen Moment, in dem einer der beiden, und zwar derjenige, der offenbar die Störung verursacht hatte, plötzlich auf seine Uhr geschaut und mit bewundernswert ruhiger Stimme gesagt hatte: «Meine Güte! Gerade zwölf!»
    In den ersten Sekunden, nachdem er die Schwelle überschritten hatte, spürte Browne-Smith wieder jenen stechenden Schmerz, der sich einer Säge gleich durch sein Gehirn zu fressen schien, und war unfähig, irgend etwas um sich herum wahrzunehmen außer eben diesen Schmerz. Doch genauso plötzlich, wie er gekommen war, verging er wieder, und Browne-Smith sah, daß er sich in einem Büro befand, und hatte das Gefühl, durchaus wieder Herr der Lage zu sein.

    George Westerby hatte an jenem Morgen zufällig aus dem Fenster gesehen und war, während er seinen Blick über die Rasenfläche des Innenhofs schweifen ließ, Zeuge geworden, wie sich die hochgewachsene Gestalt Browne-Smiths (er war etliche Zentimeter größer als er selber) gegen 8.15 Uhr mit energischen, weitausgreifenden Schritten in Richtung auf das Pförtnerhäuschen entfernt hatte. In diesem Moment traf ihn die Erkenntnis (und wie er sich darüber freute!), daß er seinen verhaßten Kollegen nun wohl die längste Zeit hatte ertragen müssen und ihm sein Anblick in Zukunft erspart bleiben würde. Denn George Westerby hatte kürzlich seinen achtundsechzigsten Geburtstag begangen und traf jetzt Anstalten, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Eine Speditionsfirma kümmerte sich bereits um die Unmasse von Büchern; die Hälfte der Regale war schon leer, die Bücher waren in Stößen zusammengebunden und in unzähligen Kartons, die allmählich das ganze Zimmer verstellten, eingepackt. Bald würden die großen Holzkisten ankommen und auch die ungeschlachten, muskelbepackten Umzugsleute eintreffen, die sein kostbares Hab und Gut nach London schaffen würden, in die Wohnung, die er sich dort gekauft hatte. Die neuen Räume boten natürlich sehr viel weniger Platz, als ihm hier zur Verfügung stand, und so sah er, was das Aufstellen seiner Möbel anging, schon einige Schwierigkeiten voraus. Doch darüber wollte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen, das hatte Zeit bis nach den Ferien. Erst einmal würde er aufbrechen zu den Ägäischen Inseln... Und dann über das azurblaue Meer hinüber nach Asien...
    Doch selbst jetzt, während er, hin und wieder zufrieden mit dem Kopf nickend, sich angenehmen Zukunftsträumen hingab, gelang es ihm nicht, Browne-Smith ganz aus seinen Gedanken zu verbannen. Browne-Smith... Er hatte ihn nie anders genannt. Nie etwa , als wäre einzig der Gebrauch des Nachnamens ihrem Verhältnis ewiger Feindschaft angemessen. Noch ein paar Male würde er gezwungen kein, zusammen mit dem verhaßten Mann im Speisesaal des Colleges die Abendmahlzeit einzunehmen, noch einige Mittagessen waren zu überstehen, noch wenige gesellige Zusammenkünfte, bei denen man verlegen und peinlich berührt nebeneinander am kalten Buffet stehen würde, schließlich Anfang nächster Woche noch eine Konferenz. Das Sommertrimester neigte sich dem Ende zu, sein letztes Trimester. Der letzte Tag, die letzte Stunde waren abzusehen und der Moment, an dem er zum letztenmal von diesem Fenster aus auf den makellos grünen Rasen des Innenhofs hinunterschauen würde...
    George Westerby konnte, als er an diesem kühlen Sommermorgen des 11. Juli über die nahe Zukunft nachdachte, nicht wissen, daß zumindest eine seiner Annahmen sich als falsch erweisen würde: seinem Erzfeind Browne-Smith war es nicht bestimmt, noch einmal ins College zurückzukehren.

Viertes Kapitel
    Freitag, 11.Juli

Der Leser erhält einen aufregenden Einblick in die Gepflogenheiten eines Bordells der gehobenen Klasse.

    Der Taxifahrer kannte die Straße, und Browne-Smith lehnte sich mit einem Gefühl angenehmer Spannung im Fond des Wagens zurück. Er hätte diesen Zustand gern noch etwas länger genossen und bedauerte es innerlich, als der Fahrer bereits nach fünf Minuten in einer

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