Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
Öffnung, durch die man den Himmel sehen konnte. Natürlich war dieser Raum ebenso aus Holz und Stein gebaut wie alle anderen im Palast. Trotzdem hatte man den Eindruck, mitten in einem Zelt zu sitzen, einem Zelt, wie sie es auf ihrer Reise nach Taitu benutzt hatten. Allerdings war es viel luxuriöser und behaglicher ausgestattet als die schlichten Reisezelte. Felle, Häute und bunt gewebte Stoffe lagen auf dem Boden, verkleideten die Wände und die Decke und sorgten so für eine beinahe gemütliche Atmosphäre. An einigen sichtbaren, zur Mitte des Raums hin zusammenlaufenden Holzbalken hingen Köcher mit Pfeilen, Bogen, Kräuterbündel, Töpfe und andere Gerätschaften. Die Feuerstelle spendete wohlige Wärme, es duftete nach Gras, wilden Kräutern und Leder.
    So leben die Mongolen also wirklich, dachte Beatrice. Man kann beinahe vergessen, dass man sich im kaiserlichen Palast befindet.
    Hier gab es nichts Überflüssiges, keinen unnötigen Zierrat. Jeder einzelne Gegenstand hatte eine Funktion, eine Aufgabe. Und trotzdem waren sie alle so schön und liebevoll gearbeitet, dass sie auch gleichzeitig als Schmuck dienten. Beatrice konnte sich gut vorstellen, dass sich alles innerhalb kürzester Zeit zusammenpacken und auf einem Pferderücken weitertransportieren ließ. Da kam Beatrice ein interessanter Gedanke: Ob es Khubilai wohl schwer fiel, »sesshaft« zu sein und sich tagaus, tagein mit dem Prunk und den langatmigen, komplizierten Protokollen und Ritualen des kaiserlichen Palastes zu umgeben? Wenn nicht, weshalb hätte er sich sonst einen Raum eingerichtet, der ihn an das Leben in der Steppe erinnerte? Mongolen waren Nomaden. Vielleicht war es auch Khubilai im Innersten seines Herzens geblieben. Vielleicht hatte er nie die Sehnsucht nach dem Leben auf dem Pferderücken verloren. Aber wenn das so war, was hatte ihn dazu getrieben, dieses riesige, unüberschaubare Reich zu gründen, sich mit Regierungsaufgaben zu belasten und eine Stadt wie Taitu zu errichten? Warum zog er nicht einfach mit seinen Pferden davon und lebte so wie Generationen von Mongolen vor ihm?
    Beatrice merkte, dass das Gespräch der Männer verstummt war. Friedlich saßen sie einander gegenüber und starrten in das Feuer. Trotzdem lag eine gewisse Spannung in der Luft. Tolui knetete seine Hände und scharrte ungeduldig mit den Füßen. Er warf seinem Vater immer wieder erwartungsvolle, auffordernde Blicke zu, und endlich schien Khubilai die stummen Bitten seines Sohns zu erhören.
    »Ich danke euch nochmals, dass ihr meiner Bitte gefolgt und zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu mir geeilt seid«, begann Khubilai. »Nun, nachdem wir einander unsere Freundschaft und unsere guten Absichten versichert haben, können wir über das sprechen, weshalb ich euch zu mir gebeten habe.«
    Es klang so feierlich und ernst, dass Beatrice sich automatisch gerade aufsetzte.
    »Worum es auch gehen mag, mein Herr und Gebieter, mein Bruder, ich werde deinen Wunsch in mein Herz aufnehmen und – so die Götter mir die Möglichkeit geben – erfüllen«, erwiderte Dschinkim, legte seine rechte Hand auf seine Brust und verneigte sich.
    »Ich danke dir, Dschinkim, mein Bruder, für deine Worte und deine Treue«, sagte Khubilai. »Doch heute steht es nicht in deiner Macht, meine Bitte zu erfüllen. Heute ist es Beatrice, Frau aus dem Norden des Abendlandes, an die ich meine Bitte richten möchte.«
    Beatrice erschrak. Was konnte der Khan von ihr wollen?
    »Die Erfolge deiner Arbeit im Haus der Heilung sind mir zu Ohren gekommen. Deine Heilkunst sei erstaunlich, so hat man mir berichtet. Du warst sogar in der Lage, einem Mann das Leben neu zu schenken, den die Chinesen bereits aufgegeben hatten.« Beatrice warf Tolui einen Blick zu. Der starrte auf seine Hände, und sein Gesicht glühte. Kein Zweifel, er hatte Khubilai von Jiang Wu Sun erzählt. Aber was wollte der Khan nun von ihr? Sollte sie an dem nächsten Kriegszug teilnehmen, um seine Soldaten zu versorgen? »Du solltest den Göttern dankbar sein. Du besitzt eine große Gabe.«
    Beatrice spürte, wie sie vor Verlegenheit errötete.
    »Das ist… nun ja… ich meine…« Was sollte sie sagen? Ihr fiel nichts Gescheites ein. »Das war wirklich nichts Besonderes. Jeder andere an meiner Stelle hätte das auch getan.«
    Außerdem hatte ich sehr viel Glück, fügte sie in Gedanken hinzu. Hätte sich der Lungenriss nicht von selbst wieder geschlossen, dann hätte ich den Pneu wahrscheinlich nicht in den Griff gekriegt. Und

Weitere Kostenlose Bücher