Das Rätsel der Fatima
einen angemessenen Unterricht zu bieten.
Sichtlich unzufrieden verabschiedete er sich.
»Dieser Junge ist starrköpfiger als ein Maultier«, sagte Khubilai, als Tolui den Raum verlassen hatte. »Immer möchte er seinen Willen durchsetzen, niemals hört er auf mich. Manchmal habe ich den Eindruck, ich könnte ebenso gut versuchen, der Luft Befehle zu erteilen.«
Darin ist er seinem Vater sehr ähnlich, dachte Beatrice amüsiert und stellte im nächsten Augenblick überrascht fest, dass sie nicht Khubilai im Sinn gehabt hatte, sondern Dschinkim.
»Glaubst du, du wirst ihn lenken können?«
Jetzt war Khubilai nicht mehr der Khan, der Herrscher über ein Weltreich, sondern der besorgte Vater, der für seinen eigensinnigen, hochbegabten Sohn nur das wollte, was jeder Vater auf der ganzen Welt für seinen Sohn gewollt hätte – das Beste.
»Großer Khan«, sagte Beatrice und verneigte sich leicht, »ich habe bereits in den vergangenen Tagen im Haus der Heilung eng mit Tolui zusammengearbeitet. Er ist sehr klug, und ich glaube, dass er schnell lernen wird, schneller als mancher andere. Sein größtes Problem ist sein Mangel an Geduld – vor allem mit sich selbst. Allerdings wird auch er bald begreifen, dass Ungeduld in der Heilkunde wenig Platz hat und er denselben steinigen Weg gehen muss wie Generationen von Ärzten vor ihm.«
Khubilai nickte. »Ich nehme an, du hast recht. Du scheinst eine Frau zu sein, die sich nicht an der Nase herumführen lässt. Stoß dem jungen Rind ruhig die Hörner ab. Ich gestatte dir auch, ihn zu bestrafen, wenn du es für nötig hältst.« Er straffte die Schultern und schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel. »Aber nun, da wir diesen Bund geschlossen haben, lasst uns trinken und das Abkommen mit Kumys besiegeln.«
Er hob den Deckel von einem großen bauchigen Gefäß, das neben ihm stand, schenkte mit einer Holzkelle eine weißliche Flüssigkeit in drei Becher und reichte sie jedem von ihnen. Dschinkim und Beatrice hoben ihre Becher und warteten auf Khubilais Trinkspruch.
»Auf das Bündnis! Mögen die Götter meinem Sohn und seinem Meister gewogen sein.«
»Auf das Bündnis.«
Beatrice trank und schluckte, bevor sie das Zeug angewidert ausspucken konnte. Die helle Flüssigkeit hatte die Konsistenz von Sirup. Der Geschmack erinnerte annähernd an ranzige Butter, hatte jedoch eine alkoholische Schärfe und einen unangenehmen Beigeschmack, der sich mit nichts vergleichen ließ, was sie jemals in ihrem Leben gegessen oder getrunken hatte.
Das muss die gegorene Stutenmilch sein, welche die Mongolen angeblich so lieben, dachte Beatrice.
Sie hatte irgendwann einmal in einer Zeitschrift über Kumys gelesen. Natürlich hatte sie sich damals nicht vorstellen können, dass sie eines Tages selbst in den Genuss dieses Getränks kommen würde. Tatsächlich hätte sie liebend gern darauf verzichtet. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als eine Schale klares Wasser, um diesen widerlichen, abartigen Geschmack in ihrem Mund loszuwerden.
Hoffentlich muss ich den Becher nicht austrinken, dachte sie verzweifelt. Noch ein Schluck, und ich muss mich übergeben.
Aber konnte sie das Getränk ablehnen, ohne den großen Khan zu beleidigen? Er sah sie bereits forschend an und runzelte die Stirn.
»Warum trinkst du nicht?«, fragte er. »Weigerst du dich etwa, dem Bündnis die nötige Grundlage zu geben? Willst du die Götter beleidigen?«
»Nein, das nicht, aber…« Wie konnte sie sich nur aus dieser unangenehmen Situation befreien?
Bleib bei der Wahrheit, empfahl ihr eine innere Stimme. Du bist schwanger, und in der Schwangerschaft ist Alkohol verboten. Dass dir von diesem Kumys übel wird, braucht Khubilai nicht zu wissen.
Das war kein schlechter Rat.
»Ich bitte dich um Vergebung, großer Khan. Es ist nicht meine Absicht, unhöflich zu sein, geschweige denn, dass ich dich oder die Götter beleidigen wollte. Aber Li Mu Bai hat mir von dem Genuss berauschender Getränke dringend abgeraten. Er sagte, es könnte gefährlich, unter Umständen sogar tödlich für mein ungeborenes Kind sein.«
Das Gesicht des Khans entspannte sich, und schließlich lächelte er sogar.
»Nun gut, so sei dir verziehen«, sagte er. »Ich respektiere die Sorge und die Furcht um das Kind, das du unter deinem Herzen trägst. Um die Götter dennoch nicht zu erzürnen, wird Dschinkim an deiner Stelle deinen Becher leeren.«
Dschinkim nahm Beatrice den Becher ab und trank ihn in einem Zug leer. Er
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