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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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zuckte noch nicht einmal mit der Wimper. Es war nicht ausgeschlossen, dass er das Zeug sogar mochte. Andererseits, wer konnte schon sagen, was die Mongolen von Champagner oder Whisky halten würden. Die Geschmäcker waren eben verschieden.
    Sie saßen noch eine Zeit lang am Feuer und lauschten Khubilai, der eine Geschichte aus seiner Kindheit erzählte. Er berichtete von seinem Großvater namens Temüjin, den er offensichtlich heiß und innig geliebt hatte. Beatrice brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass dieser Temüjin niemand Geringeres als Dschingis Khan war – jener Dschingis Khan, der den Europäern das Fürchten gelehrt hatte und der sogar im 20. Jahrhundert in Schlagern besungen wurde. Gespannt hörte sie zu. Khubilai beschrieb ihn als zärtlichen, humorvollen Großvater, der immer Zeit für die Nöte und Sorgen seiner zahlreichen Enkel gehabt hatte. Das Bild, das Khubilai von seinem Großvater zeichnete, war ein ganz anderes als das der Geschichtsbücher. Das war auch nicht verwunderlich. Khubilai hatte Dschingis Khan persönlich gekannt. Er hatte mit ihm zusammengelebt und auf seinem Schoß gesessen. Dschingis Khan hatte ihm Geschichten erzählt und ihn vermutlich ebenso in die Luft geworfen, wie Khubilai es jetzt mit seinen eigenen Enkeln tat. Die Historiker hingegen beurteilten den Mongolenfürsten nur nach den schriftlichen Überlieferungen. Und die stammten zum Großteil von seinen Feinden.
    »Jetzt habe ich tatsächlich die ganze Zeit von meiner Kindheit erzählt wie ein zahnloser Greis am Kohlenfeuer«, sagte Khubilai und schüttelte lächelnd den Kopf. »Es ist wirklich nicht zu leugnen, ich werde langsam alt. Ihr hättet mich zurechtweisen müssen, bevor ihr euch langweilt.«
    »Aber nein, großer Khan«, entgegnete Beatrice. »Ich habe mich nicht gelangweilt. Ich höre Geschichten über die Vergangenheit sehr gern.«
    Das entsprach allerdings nicht ganz der Wahrheit. Wäre Khubilai einer ihrer Patienten gewesen, sie hätte ihn bereits vor mehr als einer halben Stunde unterbrochen und das Gespräch energisch in eine andere Richtung gelenkt. Allerdings handelten die Geschichten der alten Menschen, die mit Oberschenkelfrakturen, Rippenprellungen oder Darmverschluss auf der Notaufnahme landeten, auch nicht von historischen Persönlichkeiten wie Dschingis Khan.
    »Du bist sehr höflich, Beatrice, aber ich erkenne an euren Gesichtern, dass ihr eure Zeit sinnvoller nutzen wollt, als einem alten Mann zuzuhören.« Khubilai lächelte. »Abgesehen davon habe auch ich noch ein paar dringende Angelegenheiten zu regeln.«
    Dschinkim erhob sich sofort und wirkte erleichtert, als hätte er nur darauf gewartet, dass Khubilai sie endlich entlassen würde.
    Wahrscheinlich kennt er die Geschichten seines Bruders schon zur Genüge, dachte Beatrice und beobachtete den Mongolen voller Bewunderung. Seine Bewegungen waren schnell und geschmeidig wie die eines Artisten. Es war ihm überhaupt nicht anzumerken, dass er stundenlang auf dem Boden gesessen hatte. Sie hingegen hatte das Gefühl, ihre Beine seien von den Knien bis zu den Füßen abgestorben. Mühsam versuchte sie sich aus dem niedrigen Holzgestell herauszuarbeiten. Ohne Erfolg.
    Da reichte Dschinkim ihr seine linke Hand, legte den rechten Arm um ihre Taille und zog sie leicht und mühelos auf die Füße.
    »Danke«, sagte sie und fragte sich, ob er einfach nur freundlich sein wollte oder ob sie sich so ungeschickt angestellt hatte, dass er den Anblick nicht mehr hatte ertragen können.
    Dschinkim erwiderte nichts, er lächelte nicht einmal. Trotzdem wirkte er nicht so grimmig und unzugänglich wie sonst. Sein Arm umfasste immer noch ihre Taille, als hätte er ihn vergessen, seine jadegrünen Augen leuchteten, und für einen kurzen, ganz kurzen Moment hatte sie den Eindruck, dass er sich gleich zu ihr herabbeugen und sie küssen würde. Doch leider geschah nichts, gar nichts. Dschinkim ließ sie einfach wieder los und wandte sich von ihr ab, als würde die Luft zwischen ihnen nicht vor Spannung knistern. Zu ihrer eigenen Überraschung stellte Beatrice fest, dass sie darüber enttäuscht war. Enttäuscht und wütend.
    »Nun geht und nehmt den Frieden meiner Jurte mit euch«, sagte Khubilai heiter. »Die Götter mögen euch auf euren Wegen begleiten.«
    Der Khan sagte noch ein paar freundliche, belanglose Dinge, doch Beatrice hörte kaum zu. Dort, wo Dschinkim sie berührt hatte, prickelte ihre Haut wie nach einer Reizstrombehandlung.
    Dumme Kuh!, beschimpfte

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