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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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war, anderen Menschen in ihren Nöten beizustehen, ihre körperlichen und seelischen Leiden zu lindern, warum hatte der Stein der Fatima sonst ausgerechnet sie ausgewählt und hierher gesandt? Vielleicht war gerade das die Aufgabe gewesen, die sie hier an Khubilais Hof zu erfüllen hatte?
    Beatrice schaute wieder in den Himmel hinauf. Direkt über ihr stand jenes seltsame Sternbild, das die Form eines Auges hatte. Und in dem Moment, als sie es sah, wusste sie, dass sie dieses Auge gesucht hatte, seit sie ans Fenster getreten war. Allerdings hätte sie schwören können, dass es vor wenigen Minuten noch nicht dort oben gewesen war.
    Wahrscheinlich habe ich nicht richtig hingesehen, dachte sie. Es wird schon die ganze Zeit über da gewesen sein, denn Sterne können nicht einfach verschwinden und dann wieder auftauchen. Oder?
    Sie betrachtete das Auge. Es stand am Himmel, groß und strahlend. Beatrice stellte sich vor, dass es zu einem Gesicht gehörte. Ein schönes, gütiges Gesicht mit einem freundlichen, verständnisvollen Lächeln.
    Und während sie es noch betrachtete, schien es ihr, als würden die Sterne für einen Augenblick besonders hell leuchten.

17
     
     
     
    Ahmad ging auf und ab, eingehüllt in einen dicken Mantel, ein Fez aus Fuchspelz auf dem Kopf zum Schutz gegen die grimmige Kälte. Das gefrorene Gras knirschte unter seinen weichen, mit Fell gefütterten Stiefeln. Wenn er gewollt hätte, hätte er sich auch hier lautlos fortbewegen können. Aber wozu? Es gab weit und breit nichts, vor dem er sich hätte verstecken müssen. Ganz in der Ferne konnte er die Wachfeuer der Soldaten auf der Stadtmauer erkennen. Aber hier draußen, vor den Toren der Stadt, brannte nicht einmal eine kleine Öllampe, geschweige denn eine Fackel. Wäre der Himmel bewölkt gewesen, er hätte nicht die eigene Hand vor Augen sehen können. Voller Sehnsucht dachte er an die Gärten und Oasen in seiner Heimat. In den lauen Nächten zirpten die Grillen, ein sanfter, angenehm frischer Wind fuhr durch die Wipfel der Palmen, aus den Brunnen sprudelte kühles, klares Wasser hervor, der süße Duft des Jasmins betörte die Sinne, und auf den Teichen schwammen Hunderte kleiner Talglichter. Ja, zu Hause, dort gab es Gärten, die diesen Namen verdienten, in denen Diener bereitstanden, um ihren Herren Erfrischungen anzubieten. Und wenn man die Gärten, die Städte oder Oasen verließ, war man in der unendlichen majestätischen Wüste, wo die Füße bis zum Knöchel im feinen gelben Sand versanken und die Sterne zum Greifen nahe zu sein schienen. Gut, es gab zwar auch hier den einen oder anderen Bach, aber das Wasser rauschte und plätscherte über Steine hinweg wie ein Wildbach in den Bergen. Nichts war hier fein, edel und erhaben. Hier gab es nur Wildnis, ein barbarisches, trostloses Nichts.
    Im Dickicht hinter Ahmad raschelte es plötzlich. Er fuhr herum und tastete nach seinem Wurfdolch. Was war das, was dort durch die niedrigen Büsche ging? Ein Fuchs? Eine Maus? Eines der wilden Pferde, die von den Mongolen gejagt wurden? Oder möglicherweise etwas ganz anderes? Man erzählte sich, dass es in China Geister gab, böse Geister, grausame Feen und entsetzliche Dämonen. Sogar von furchtbaren Drachen sprach man, groß wie Häuser und stärker als tausend Soldaten, mit silbrig glänzenden Leibern voller Schuppen, die härter waren als die beste Klinge, und einem giftigen Feueratem, dem kein Lebewesen zu entrinnen vermochte.
    Eine unsichtbare Hand schob und zerrte an Ahmads Beinen, eine höhere Macht wollte ihn dazu drängen, fortzulaufen. Fortlaufen? Nein, das kam nicht infrage. Denn feige war er nicht. Aber er sollte sich in Sicherheit bringen, sein Leben retten, bevor es zu spät war, bevor eine Horde ausgehungerter Dämonen über ihn herfiel, ihm das Herz aus der Brust riss und seine Eingeweide…
    In diesem Augenblick trat ein Pferd, nur eine Armlänge von ihm entfernt, aus dem Unterholz hervor. Das Mondlicht ließ das makellose weiße Fell schimmern wie Sternenstaub. Das Pferd schüttelte den Kopf, sodass seine dichte lange Mähne glänzte wie der Schweif eines Kometen. Es schnaubte leise, und im fahlen Licht konnte er deutlich die Atemwolken vor seinen Nüstern sehen. Ahmad atmete erleichtert auf. Dieses Pferd war kein Geist, auch wenn es in diesem Augenblick so aussah. Er streckte seine Hand aus und tätschelte die Flanke des Pferdes. Das Tier nahm es kaum zur Kenntnis, setzte langsam einen Huf vor den nächsten und trottete davon,

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