Das Rätsel der Fatima
aufführen, während die Verlierer unter ihren Armen hindurchgehen? Es wird auch in Zukunft Falken, Elefanten und Löwen geben?«
»Ja«, sagte Beatrice, obgleich sie nicht sicher war, was Dschinkim meinte, was es mit den Falken, Löwen und Elefanten auf sich hatte. Aber sie konnte nachher Tolui fragen. Er würde es ihr bereitwillig erklären. »Du kannst mir glauben.«
Dschinkim schloss die Augen und atmete tief ein, so als würde er zum ersten Mal seit langer, sehr langer Zeit frische, unverbrauchte Luft atmen.
»Ich danke dir«, sagte er. »Ich danke dir und den Göttern, die dich geschickt haben.«
Sie drückte seinen Arm. Mehr war nicht nötig. Er glaubte ihr, ohne dass sie ihm alle Details verraten musste. Beatrice schickte ein Dankgebet zum Himmel. Trotz ihrer Dummheit war noch einmal alles gutgegangen.
Heute Abend werde ich wohl Abbitte leisten müssen, dachte sie. Hoffentlich kann mir Fatima noch einmal verzeihen.
Spät am Abend trat Beatrice an das Fenster ihres Gemachs. Sie war allein. Maffeos Befinden hatte sich im Laufe des Tages erheblich gebessert. Wie die Diener Beatrice berichteten, hatte er bereits zur Mittagszeit mit gutem Appetit eine Mahlzeit zu sich genommen und war dann anschließend selbstständig und ohne Hilfe in seine eigene Wohnung hinübergegangen. Li Mu Bai hatte sich während ihrer Abwesenheit um Maffeo gekümmert und ihm einen Kräutersud verordnet. Es musste sich um eine überaus wirksame Arznei handeln, denn Maffeos rasche Genesung ließ sich nicht allein mit der einmaligen Kohlegabe erklären. Besonders wegen seiner Herzerkrankung hatte Beatrice mit einem langen, zögerlichen Heilungsverlauf gerechnet. Gleich als sie am späten Nachmittag nach Hause gekommen war, hatte sie bei Maffeo vorbeigeschaut, um ihn noch einmal zu untersuchen. Er hatte lächelnd und mit rosigen Wangen in seinem Bett gesessen und seinem Schreiber gerade einen Brief diktiert. Von der Tachykardie und der Pupillenerweiterung war kaum noch etwas zu merken, seine Körpertemperatur war wieder auf ein normales Maß gesunken, und die Halluzinationen waren verschwunden. Jetzt schlief er tief und fest, nur bewacht von seinem treuesten Diener. Alles war wieder im Lot. Wirklich alles?
Nachdenklich sah Beatrice in die Dunkelheit hinaus. Nein, sagte sie sich, gar nichts ist in Ordnung. Maffeo ist um ein Haar einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Wir müssen einen Mörder finden, bevor dieser sein Attentat wiederholt. Denn das nächste Mal wird dieser Mistkerl bestimmt kein Risiko mehr eingehen. Er wird eine Methode wählen, die im wahrsten Sinne des Wortes wirklich »todsicher« ist. Und während all das um mich herum geschieht, habe ich nichts Besseres zu tun, als munter die Geheimnisse des Steines der Fatima weiterzugeben. Plaudere mit Dschinkim über das, was in sieben- oder achthundert Jahren sein wird. Dämlicher kann man doch wohl kaum sein.
Ihre Wangen brannten vor Scham, und am liebsten hätte sie sich vor sich selbst irgendwo verkrochen. Doch alles Schämen, Schimpfen und Lamentieren half nichts. Es war passiert, und daran ließ sich nun mal nichts mehr ändern. Aber wie konnte sie jetzt den entstandenen Schaden wiedergutmachen?
Sie betrachtete das Räucherstäbchen in ihrer Hand. Sie hatte es aus einem kleinen Kasten genommen, der neben dem Hausaltar auf dem Flur stand, damit jeder zu jeder Zeit die Gelegenheit hatte, den Göttern ein Rauchopfer darzubringen.
Ob dies die richtige Art war, Fatima um Verzeihung zu bitten? Sie war sich nicht sicher. Aber etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Außerdem konnten Millionen von Buddhisten, Hindus und Gläubige anderer Religionen, die ihren Göttern Rauchopfer darbrachten, doch nicht irren.
Sie zündete das Räucherstäbchen an einer Lampe an, wartete, bis die Spitze brannte, und blies die kleine grüne Flamme dann aus. Langsam stieg die Rauchsäule in den klaren Nachthimmel auf und verbreitete dabei einen wohltuenden, beruhigenden Duft. Ihre verkrampften Muskeln begannen sich zu entspannen, ihr Herzschlag wurde ruhiger, die Stimme, die ihr Vorwürfe machte, wurde leiser und leiser, bis sie schließlich ganz verstummte. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, nein, sie wusste, dass sie das Richtige getan hatte. Es war gut, dass sie Dschinkim alles gesagt hatte. Es würde den Lauf der Welt nicht verändern. Aber es würde einem Mann, der sein Volk liebte und unter seinen düsteren Vorahnungen Höllenqualen litt, das Leben erleichtern. Und wenn es nicht ihr Auftrag
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