Das Rätsel der Fatima
ist es wichtig, ihm wieder Flüssigkeit einzuflößen. Flüssigkeit und Salze.«
»Deshalb also das salzige Wasser von gekochtem Reis?«
Beatrice nickte. Eine Infusion mit Elektrolyten und Glukose wäre ihr lieber gewesen. Viel lieber. Denn sie konnte sich nicht vorstellen, wie Dschinkim bei diesem heftigen Erbrechen das Reiswasser bei sich behalten sollte.
»Tolui, schick einen der Diener los, um ein Stück Kohle zu besorgen«, sagte sie, während sie Dschinkim behutsam auf den Rücken drehte, damit sie seinen Bauch abtasten konnte. Natürlich hätte sie auch selbst einen Diener damit beauftragen können, aber sie brachte nicht mehr die nötige Geduld auf.
»Kohle?«, fragte Tolui verwundert. »Wozu denn das?«
Beatrice verdrehte die Augen. Neugierde und Wissensdurst waren wirklich gute Eigenschaften – aber alles zu seiner Zeit. Trotzdem brachte sie es fertig, ihn diesmal nicht anzufahren.
»Tolui, würde es dir etwas ausmachen, mir jetzt keine Fragen zu stellen? Tu bitte einfach nur, was ich dir sage. Später können wir reden. Ich kann dir dann alles genau erklären. Doch jetzt habe ich wirklich weder die Zeit noch die Nerven dafür.«
Ob Tolui es wirklich verstanden hatte, konnte sie nicht sagen. Aber wenigstens nickte er gehorsam und erhob sich.
An der Tür stieß er mit Li Mu Bai zusammen. Das Aussehen des kleinen Mönches überraschte sie wieder mal. Sie selbst sah vermutlich nicht einmal halb so frisch und ausgeschlafen aus wie er. Dabei war Li Mu Bai fast doppelt so alt wie sie. Aber vielleicht hatte man ihn auch im Gegensatz zu ihr nicht wecken müssen. Nach Beatrices Informationen begannen die buddhistischen Mönche ihren Tag immer sehr früh.
Möglich, dass Li Mu Bai bereits mitten in seiner Morgenmeditation war, als Dschinkims Diener bei ihm eingetroffen war.
»Gut, dass du da bist«, sagte Beatrice, als Li Mu Bai sich neben sie hockte. Sie mochte den kleinen Mönch. Er war ein freundlicher, gütiger, sympathischer Mann. Trotzdem hatte sie sich noch nie so darüber gefreut, diese schmächtige orangegewandete Gestalt mit dem kahlen Kopf und dem weisen Lächeln zu sehen wie gerade in diesem Moment.
»Was ist geschehen?«, fragte Li Mu Bai und ließ einen prüfenden, routinierten Blick über Dschinkim gleiten.
»Seit ein bis zwei Stunden leidet er unter heftigen Krämpfen, begleitet von starkem Erbrechen und wässrigem Durchfall. Bis zu diesem Zeitpunkt ging es ihm gut, keine Sehstörungen, kein Unwohlsein, nichts, was auf eine Erkrankung hingedeutet hätte – so erzählte man mir wenigstens. Bei der körperlichen Untersuchung konnte ich bisher keine Verletzungen wie Einstiche oder Bisse entdecken. Hast du eine Idee, was die Ursache sein könnte?«
Li Mu Bai neigte seinen Kopf zur Seite und dachte nach.
»Nein«, sagte er schließlich. »Aber vielleicht sollte ich ihn untersuchen, bevor ich Vermutungen äußere.«
»Ja, natürlich«, murmelte Beatrice.
Mühsam erhob sie sich aus der Hocke und trat ein paar Schritte zurück, um Li Mu Bai genügend Platz zu lassen. Nachdenklich sah sie zu, wie der Mönch erst Dschinkims linkes, dann das rechte Handgelenk nahm und mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger der rechten Hand die Pulse tastete. Es hatte lange gedauert, bis sie begriffen hatte, dass sich die chinesischen Ärzte im Gegensatz zu den westlichen Schulmedizinern nicht allein für die Frequenz und den Rhythmus des Pulses interessierten. Für sie waren die Pulsqualitäten wichtig, für deren Beschreibung es unendlich viele Worte gab und deren Unterscheidung sehr viel Erfahrung brauchte. Beatrice hatte erhebliche Mühe damit. Trotz Li Mu Bais geduldiger Anleitung konnte sie immer noch nicht die feinen Unterschiede zwischen »schlüpfrig« und »fadenförmig« oder »prall« und »klopfend« erkennen, und oft genug hielt sie diese Bezeichnungen für reine Willkür. Aber die Schlüsse, welche die chinesischen Ärzte aus der Pulsdiagnose zogen, waren höchst interessant und manchmal sogar verblüffend. Und Beatrice hatte gelernt, sie zu respektieren – auch wenn sie die Hintergründe nicht verstand.
Inzwischen hatte Li Mu Bai die Pulsdiagnose beendet. Er bat den vor sich hindämmernden Dschinkim, den Mund zu öffnen, damit er sich die Zunge ansehen konnte. Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Für einen kurzen Augenblick hatte Beatrice den Eindruck, als ob Li Mu Bai an Dschinkim roch, als wollte er herausfinden, welches Duftwasser der Mongole benutzte. Diesen Teil der chinesischen Untersuchung
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