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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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wollte sie erst einmal nicht denken. Vielleicht war es nur eine banale Infektion. Warum immer sofort mit dem Schlimmsten rechnen? Weil es meistens zutrifft, dachte sie voller Bitterkeit. Du arbeitest schon lange genug als Ärztin. Du kennst diese Regel.
    »Habt ihr bereits Li Mu Bai oder einen der anderen Ärzte verständigt?«, fragte Beatrice, während sie endlich Dschinkims Haus erreichten.
    »Nein.«
    »Und warum nicht?«, fauchte Beatrice Tolui an.
    »Ich dachte, es sei wichtiger, dass zuerst du…«
    »Du dachtest? Hast du mal darüber nachgedacht, dass dies hier nicht meine Heimat ist und dass es hier möglicherweise Krankheiten gibt, die ich nicht kenne und die ich folglich auch nicht behandeln kann? Wie dumm kann ein Mensch eigentlich sein!«
    Beatrice wusste, dass sie ungerecht war, dass Tolui nichts dafür konnte, dass er ebenso verzweifelt war wie sie selbst, dass er sein Bestes getan hatte. Aber sie hatte Angst. Erbärmliche Angst.
    Tolui öffnete eine Tür, und sie betraten Dschinkims Schlafgemach. Überall standen Diener herum, ängstlich, starr und stumm, wie eine Horde verschreckter Kaninchen. Nur am Rande registrierte sie, dass Tolui seinen Fehler sofort korrigierte und einen der Diener damit beauftragte, so rasch wie möglich Li Mu Bai zu holen. Der Diener rannte davon, als wäre er erleichtert, endlich aus seiner Erstarrung und Nutzlosigkeit befreit worden zu sein.
    Flüchtig schoss Beatrice durch den Kopf, dass sie sich zum ersten Mal in Dschinkims Schlafgemach befand. Eigentlich hatte sie es sich ganz anders vorgestellt, das erste Mal hier zu sein. Sie hatte sich ausgemalt, schön gekleidet, vielleicht sogar parfümiert zu Dschinkim zu gehen und ihm dann langsam und behutsam näher zu kommen. Doch der Anblick, der sich ihr bot, vertrieb auf der Stelle jeden weiteren Gedanken an schöne, angenehme Dinge.
    Es sah aus, als hätte in diesem Raum noch vor wenigen Augenblicken ein heftiger Kampf getobt. Das Bett, ein niedriges, mit Fellen und Kissen ausgestattetes Lager, war leer. Die Decken und Laken waren zerwühlt und beschmutzt wie in einem Feldlazarett mitten im Ersten Weltkrieg. Möbel waren umgestürzt, Teppiche waren umgeschlagen und lagen nicht mehr an den Stellen, an denen sie vorher gelegen hatten. Und über allem hing der scharfe, durchdringende Geruch von Erbrochenem und Kot. Ein Diener kniete auf dem Boden und war bemüht, aufzuräumen und den Schmutz wieder zu beseitigen. Dschinkim selbst lag zusammengekrümmt wie ein Embryo im hintersten Winkel seines Schlafzimmers auf dem Boden. Er war nackt. Einer der Diener musste ihm die Kleidung ausgezogen haben, vermutlich, weil Dschinkim nicht nur das Zimmer beschmutzt hatte, sondern auch sich selbst. Beatrice kniete sich sofort neben ihn auf den Boden und tastete nach seinem Puls. Sie musste lange suchen, bis sie ihn fand. Er war schnell und beängstigend schwach. Wenn es sich um eine Infektion handelte, so war sie keinesfalls banal. Sie war lebensbedrohlich.
    Dschinkim schlug die Augen auf. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, als er Beatrice erkannte. Doch es verschwand ebenso schnell wieder.
    »Sieh mich nicht an, Beatrice, nicht jetzt. Du sollst mich so nicht sehen.« Er verbarg sein Gesicht mit seinem Arm. »Welcher Narr hat dich zu mir gebracht?«
    »Tolui.«
    »Sobald es mir wieder besser geht, werde ich mit ihm ein ernstes Wort sprechen. Sag ihm das.«
    »Dschinkim, ich bin Ärztin. Deswegen hat Tolui mich geholt. Er macht sich große Sorgen um dich.«
    Entkräftet ließ Dschinkim seinen Arm wieder sinken.
    »Trotzdem solltest du mich nicht in diesem jämmerlichen Zustand sehen.«
    »Das ist doch jetzt unwichtig«, sagte Beatrice und versuchte, ihr Entsetzen zu verbergen. Das vor wenigen Stunden noch schöne, volle Gesicht war eingefallen und grau, die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Innerhalb weniger Stunden war aus dem kräftigen, gesunden Mann ein klappriger Greis geworden.
    Dschinkim ergriff ihre Hände. Die kalte Berührung ließ sie zusammenzucken.
    »Mir bleibt nicht mehr viel Zeit«, flüsterte er matt. »Deshalb…«
    »Unsinn«, unterbrach ihn Beatrice. Sie wollte ihm Mut machen, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte. »Du wirst wieder gesund.«
    Dschinkim schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Der Fuchs ist jetzt zu mir gekommen. Ich weiß es, ich fühle es. Deshalb…« Er hielt inne und schloss die Augen, um Kraft zu schöpfen. Und als er sie wieder öffnete, leuchteten sie voller

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