Das Rätsel der Fatima
in arabischen Gewändern, die Eunuchen, die orientalischen Möbel und Gegenstände – lediglich eine Wahnvorstellung seien. Mit Sicherheit war das eine ganz normale Reaktion gewesen, denn wer rechnete schon damit, ohnmächtig zu werden und in einer anderen Zeit wieder aufzuwachen? Jetzt allerdings akzeptierte sie das alles ohne auch nur den geringsten Einwand. Warum? Vielleicht lag es an Maffeo. Er wusste etwas über sie und über den Stein der Fatima. Vielleicht wusste er sogar, was der Stein von ihr wollte.
Ich muss mit Maffeo sprechen, dringend, dachte Beatrice. Hoffentlich kommt er bald.
Es klopfte laut und energisch.
Mit kleinen trippelnden Schritten ging Ming zur Tür und öffnete. Die alte Frau trat zur Seite und verneigte sich tief.
»Guten Morgen«, sagte Maffeo.
Beatrice wandte sich um. Doch ihre Freude und Erleichterung verwandelte sich in Enttäuschung, als sie bemerkte, dass Maffeo nicht allein war. Sie konnte nicht über den Stein der Fatima mit ihm sprechen, wenn er in Begleitung zu ihr kam. Sie musste sich gedulden – schon wieder. Ob er das wohl absichtlich machte?
Der Mann, der bei ihm war, überragte ihn um mehr als Haupteslänge. Er trug ähnliche Kleidung wie Maffeo, sah darin allerdings weitaus kriegerischer und wilder aus als der alte Venezianer. Unter seiner Kopfbedeckung, einem spitzen Helm aus rot und blau gefärbtem Leder, quollen lange fast schwarze Haare hervor. Sein Gesicht war finster, und seine überraschend hellen Augen funkelten, als wollte er sie auf der Stelle mit dem Krummsäbel köpfen, der drohend und wie zur Abschreckung an seinem Gürtel hing. Dieser Mann sah genauso martialisch und gefährlich aus, wie Beatrice sich Mongolen immer vorgestellt hatte.
Der Mann sagte etwas in jener Sprache, die Beatrice bisher nicht hatte einordnen können. Jetzt vermutete sie, dass es sich um einen mongolischen Stammesdialekt handelte. Hastig, beinahe überstürzt verließ Ming den Raum.
Na wunderbar, dachte Beatrice. Wenn Maffeo auch gleich verschwindet, fange ich an zu schreien. Mit diesem Kerl möchte ich nicht einmal im Traum allein in einem Zimmer sein.
»Dschinkim, Bruder und Thronfolger des großen und allmächtigen Khans, ist gekommen, um mit dir zu reden«, sagte Maffeo und sprach endlich wieder Arabisch.
Beatrice verneigte sich. Sie wusste zwar nicht genau, welche Stellung ein Bruder des Khans bei den Mongolen innehatte, aber es klang, als wäre er so etwas wie der zweite Mann im Staat. Abgesehen davon konnte eine Verbeugung nie schaden. Sie richtete sich wieder auf und wartete ab. Etliche Monate Leben im Harem hatten sie gelehrt, vorsichtig damit zu sein, zuerst das Wort an einen Mann zu richten.
Mit langen, kräftigen Schritten ging der Mongole zu einem der Stühle und nahm Platz. Maffeo folgte ihm und setzte sich daneben. Beatrice sah sich um. Es gab hier im Raum nur zwei Stühle. Sollte sie… Sie ging auf das Bett zu, doch Maffeo warf ihr einen warnenden Blick zu und schüttelte kaum merklich den Kopf. Offensichtlich erwartete man von ihr, dass sie stehen blieb. Sollte das hier ein Verhör werden, oder behandelten die Mongolen ihre Frauen immer so?
Der Mongole sagte etwas und winkte sie zu sich heran. Als sie gehorchte, wandte er sich an Maffeo, und Beatrice wurde heiß. Hatte sie etwas falsch gemacht? Die Worte des Mongolen klangen misstrauisch und wütend.
»Dschinkim fragt, ob du die mongolische Sprache beherrschst.«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Nein.«
Der Mongole sprang auf und war mit zwei Schritten bei ihr. Seine Stimme und die harten, wütend zwischen den blendend weißen Zähnen hervorgestoßenen Worte klangen wie das Bellen eines Hundes – eines sehr großen, sehr gefährlichen Hundes. Erschrocken wich Beatrice einen Schritt zurück. Es dröhnte in ihren Ohren, als er seine Worte wiederholte, noch lauter als zuvor. Die Luft wurde ihr knapp. Gern wäre sie geflohen, einfach aus dem Zimmer gerannt, doch sie konnte nicht. Wie ein verängstigtes Kaninchen starrte sie in die zornig funkelnden Augen des Mongolen. Das waren nicht die dunklen Augen der Chinesen, das waren grüne, lodernde Flammen. Jadegrüne Augen, die ihr Gehirn und ihre Seele durchforschten.
Das ist kein Mensch, das ist ein Drache, der Menschengestalt angenommen hat, dachte Beatrice. Gleich macht er den Mund auf und wird mich mit seinem Feueratem rösten. Verzweifelt suchte sie Maffeos Blick.
»Er will wissen, warum du näher gekommen bist, wenn du ihn nicht verstanden
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