Das Rätsel der Fatima
badete gern lange und ausgiebig. Sicher hätte sie die wohltuende Wirkung des warmen Wassers und den köstlichen Duft des Holzes noch länger genossen, doch das strenge Gesicht von Ming erinnerte sie daran, dass sie nicht zu Hause war. Anscheinend widersprach ein zu ausgedehntes Bad dem guten chinesischen Ton. Beatrice seufzte. Sie konnte sich verhalten, wie sie wollte, dieser Frau würde sie es nie recht machen. Und nach dem, was heute passiert war, sowieso nicht.
Während Ming sie ankleidete, ihr die Haare kämmte – ganz sorgfältig, Strähne für Strähne –, hörte Beatrice von draußen Musik. Es waren schrille, laute Flötenklänge, Trommeln, Schellen und etwas Metallisches, das wie gegeneinandergeschlagene Becken klang. Beatrice gab sich die größte Mühe, sich zu beherrschen. Sie presste die Lippen aufeinander, versuchte an alles Mögliche zu denken und biss sich sogar auf die Zunge. Doch schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
»Was hat die Musik zu bedeuten?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass es ein Fehler war.
»Kaiser ist in Shangdou«, sagte Ming mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln. Natürlich hätte sich eine Chinesin niemals zu einer derartig erniedrigenden Neugierde hinreißen lassen; so etwas brachten nur die ungebildeten Barbaren fertig. »Musiker und ganzes Gefolge begleiten ihn zum Palast.«
Gerne hätte sich Beatrice diesen festlichen Zug angeschaut, aber Maffeo hatte sie davor gewarnt. Den Frauen und dem niederen Gefolge war es verboten, an diesem Zug teilzunehmen. Die Gründe konnte auch Maffeo ihr nicht erklären, es gehörte einfach zu dem komplizierten kaiserlichen Protokoll dazu. Sie würde den Kaiser am Abend sehen, wenn die große Audienz stattfand. So begnügte sie sich damit, den fremdartigen Klängen zu lauschen und sich den kaiserlichen Festzug vorzustellen, während Ming ihr das Festtagsgewand anlegte. Es war eine aus mehreren Kleidern bestehende Robe. Sie wurden alle übereinandergetragen, und die letzte Schicht bildete ein Mantel aus einem reich bestickten steifen, brokatähnlichen Stoff.
Als sie endlich das Ergebnis betrachten konnte, brach bereits die Abenddämmerung herein. Beim Blick in den Spiegel erkannte sie sich selbst kaum wieder. Irgendwie hatte Ming es fertiggebracht, ihr lediglich schulterlanges Haar zu einer mondänen Frisur aufzutürmen. In dem strengen, formellen Kleid und dem Kopfschmuck, den Ming ihr in das Haar geflochten hatte, sah sie aus wie eine Kaiserin.
Offensichtlich brauchen sich Kaiserinnen nicht zu bewegen, dachte Beatrice.
In dem steifen Festtagsgewand kam sie sich vor, als hätte sie jemand in eine Ritterrüstung gezwängt. Heimlich versuchte sie, den eng an ihrem Hals anliegenden Kragen zu lockern, doch sie hatte nicht mit Mings wachsamen Augen gerechnet. Kaum war es Beatrice gelungen, sich wieder mehr Luft zu verschaffen, hatte die alte Chinesin es auch schon bemerkt. Verärgert murmelte sie etwas auf Chinesisch und machte sich daran, die Bänder und Stofffalten, die Beatrice in mühsamer Arbeit gelockert hatte, wieder festzuziehen.
Das halte ich nicht aus, dachte Beatrice und versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Fünf Minuten, bestenfalls zehn, dann werde ich ohnmächtig, und sie müssen mich zum Gespött aller Anwesenden aus dem Thronsaal tragen.
Beatrice wurde nicht ohnmächtig. Aber das lag nicht daran, dass sie sich im Laufe des Abends an die steife, schwere Festrobe gewöhnte. Sie war wohl nur widerstandsfähiger, als sie selbst geglaubt hatte.
»Jetzt dauert es nicht mehr lange«, flüsterte Maffeo ihr zu, sodass sie sich fragte, ob man ihr das Unbehagen derart deutlich ansehen konnte. »Khubilai Khan wird jeden Augenblick erscheinen.«
Beatrice seufzte und versuchte, eine bequemere Sitzposition zu finden, aber das war schwierig. Seit mehreren Stunden – so kam es ihr wenigstens vor – saß sie nun schon auf ihren Knien und wartete auf die Ankunft des erlauchten Kaisers. Maffeo, der sich direkt vor ihr befand und ihr seinen Rücken zuwandte, hatte ihr eingeschärft, sich nur im allergrößten Notfall zu bewegen und unter gar keinen Umständen auch nur ein Wort zu sagen.
»Regungslos und schweigsam wie eine Statue – so sollte sich eine Frau am Hof des Kaisers verhalten.«
Maffeo hatte gut reden. Auch er musste sich in Geduld üben, aber er brauchte weder stumm noch unbeweglich auf seinem Platz zu verharren. Außerdem schien sein Kragen viel weiter zu sein als ihrer. Er unterhielt sich leise mit seinem
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