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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Nachbarn, einem dunkelhaarigen Europäer mit grauen Schläfen. Fetzen von Italienisch drangen an ihr Ohr.
    Das muss Niccolo sein, dachte Beatrice. Maffeos Bruder. Die beiden sind sich wirklich sehr ähnlich.
    Beatrice versuchte, nicht an das beengende Gefühl am Hals zu denken, ein Gefühl, als hätte ein sadistischer Killer ihr seine Hände oder eine Garotte um die Kehle gelegt, um sie langsam und qualvoll, über Stunden hinweg, zu erwürgen. Um sich abzulenken, sah sie sich, so gut es eben ging, wenn man sich nicht bewegen durfte, im Thronsaal um. Ob Marco Polo auch hier war? Das war natürlich die spannendste Frage des heutigen Abends. Wie mochte er wohl aussehen, der große Weltreisende, der berühmte Venezianer?
    Menschen aller Nationen hatten sich hier versammelt. Beatrice erkannte die Kleidung der Kaufleute von Buchara, sie sah Männer in verschiedenen Stammestrachten arabischer Nomaden, viele Mongolen, Tibeter und Chinesen, aber auch Juden mit Schläfenlocken, Inder mit Turbanen und sogar andere blonde und braunhaarige Europäer. Es war ein Kaleidoskop der ganzen den Menschen des Mittelalters bekannten Welt. Nur Vertreter des schwarzafrikanischen Kontinents sah Beatrice nicht. Aber vermutlich konnte sie sie in der Masse der Menschen bloß nicht entdecken. Denn eines war sicher: Sollte Khubilai Khan eine Möglichkeit gefunden haben, bis nach Afrika vorzudringen, so hätte er es getan. Sein Eroberungswahn kannte offensichtlich keine Grenzen.
    Der Thronsaal war riesig, riesig und rund wie eine Zirkusarena oder ein Stadion. Tatsächlich war er so groß, dass hier ohne Weiteres ein Fußballspiel hätte stattfinden können. Wegen der runden Form war es vermutlich allen Anwesenden, selbst jenen, die wegen ihres niederen Rangs nicht wie Maffeo in unmittelbarer Nähe des Throns platziert waren, möglich, den Kaiser gut zu sehen.
    Beatrice schätzte die Zahl der Geladenen auf mindestens zweitausend Mann. Gab es wirklich so viele Aufgaben am Hof des Kaisers? Oder hatten sie alle im Grunde nutzlose Posten, wie die Untertanen des Sonnenkönigs in Frankreich, der sogar über einen »Königlichen Taschentuchhalter« verfügte? Ob der große Khan jeden dieser unzähligen Untergebenen kannte? Wohl kaum. Es sei denn, er wäre ein Genie.
    Sie ließ ihren Blick weiterwandern und unterdrückte nur mühsam ein Gähnen. Allmählich wurde diese Warterei nicht nur anstrengend, sondern auch noch langweilig.
    Hoffentlich erscheint der Kaiser bald, dachte Beatrice, sonst bekomme ich wirklich Schwierigkeiten, meine Haltung zu bewahren.
    In diesem Moment fiel ihr Blick auf einen jungen Mann, einen Europäer. Er saß links von ihnen, näher beim Thron. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. War das etwa…
    Er drehte seinen Kopf ein wenig und sah Beatrice an, als hätte er bemerkt, dass sie ihn beobachtete. Er neigte leicht seinen Kopf, wie zur Begrüßung, und lächelte. Es war ein beinahe unverschämtes, herausforderndes Lächeln. Beatrice spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und hastig wandte sie den Blick ab. Ihr Herz klopfte heftig. Dieser Mann hatte sie angesehen, als würden ihre Kleider trotz der vielen Schichten Stoff für ihn nicht existieren. Noch einmal schaute sie in seine Richtung. Er sah immer noch zu ihr her – und lächelte wieder, als würde er sich über ihre Verlegenheit lustig machen.
    Ein Gongschlag rettete Beatrice. Das Gemurmel in der Menge verstummte, und jeder blickte starr geradeaus, sogar der junge Europäer. Es wurde still im Thronsaal. Es wurde so still, dass Beatrice ihre eigenen Atemzüge hören konnte. Der Gong schlug zum zweiten Mal, und jeder, dem es erlaubt war, sich zu bewegen, wandte seinen Kopf dem Eingang zu, durch den der Kaiser den Thronsaal betreten würde. Es musste sich um einen riesigen Gong handeln, denn der tiefe Ton dröhnte in den Ohren, und es dauerte lange, bis er sich im weiten Rund des Thronsaals verlief. Erst als auch der letzte Widerhall verklungen war, wurde der Gong zum dritten Mal geschlagen. Alle Anwesenden verneigten sich, bis ihre Stirnen den Boden berührten. Auch Beatrice verneigte sich, so gut es einer Schwangeren im Knien eben möglich ist. Dann öffneten sich die großen Flügeltüren an der dem Thron gegenüberliegenden Seite, jene Türen, durch die, so hatte Maffeo es ihr erklärt, niemand außer dem Kaiser und den Angehörigen seiner Kernfamilie, also sein jüngerer Bruder, seine erste Gemahlin, seine Söhne und ältesten Töchter, schreiten durften. Alle

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