Das Rätsel der Fatima
gab es immer noch Männer, die Probleme hatten, Frauen in der Chirurgie zu akzeptieren. Selbst unter Kollegen führte das manchmal zu Schwierigkeiten. Khubilai hingegen war bestenfalls überrascht, mehr nicht. »In meiner Heimat habe ich Verletzungen jeder Art und Ursache behandelt.«
Der Khan runzelte die Stirn. »Verletzungen jeder Art… So wie zum Beispiel Messerstiche, Schwertverletzungen oder Pfeilwunden?«
Kriegsverletzungen. Natürlich, er war schließlich ein Feldherr. Kein Wunder also, dass er sofort an seine Soldaten dachte.
»Ja. Offene Wunden jeder Ursache, außerdem Knochenbrüche, Quetschungen…«
Khubilai verschränkte die Arme wieder hinter seinem Rücken und marschierte mit langen Schritten durch das Zimmer.
»Das wäre nicht schlecht. Die Chinesen sind zwar in der Lage, viele Krankheiten zu heilen, aber in der Behandlung von Wunden sind sie oft hilflos. Und auch die arabischen Ärzte müssen sich nicht selten geschlagen geben und legen das Schicksal des Verletzten in die Hände ihres Gottes. Wenn nun aber ein Arzt aus dem Abendland sich auf die Behandlung von Wunden verstünde, wäre dies ein Geschenk der Götter. Ich habe schon zu viele gute, tapfere Männer an ihren Verletzungen sterben sehen.« Khubilai blieb abrupt stehen. »Bist du gut ausgebildet? Gehörst du in deiner Heimat zu den angesehenen Ärzten?«
Beatrice zuckte mit den Schultern. Sie war sicherlich keine schlechte Chirurgin. Aber »angesehen«? Es gab eindeutig bessere Kollegen. Nicht nur in Deutschland oder Hamburg. Sogar in ihrer eigenen Abteilung.
»Nun ja, ich weiß nicht…«
»Kannst du allein arbeiten, oder brauchst du noch die Aufsicht deines Lehrers?«
»Nein. Natürlich kann ich…«
Khubilai unterbrach sie mit einer Geste. Und plötzlich sah sie hinter dem freundlichen, sympathischen Mann und Großvater den großen Khan, den Herrscher eines riesigen Imperiums. Er wusste genau, was er wollte, und setzte seinen Willen ohne jede Verzögerung durch, ganz gleich, wie hartnäckig der Widerstand auch sein mochte.
»Maffeo, wer ist der beste Arzt hier in Shangdou und Umgebung?«
Maffeo dachte einen Augenblick nach.
»Li Mu Bai«, sagte er. »Er ist der beste Arzt in Shangdou. Meiner Meinung nach ist er sogar der beste in deinem Reich.«
Khubilai lächelte. »Wie ich hörte, hältst du sehr viel von Li Mu Bai, und das mag dein Urteil beeinflussen. Aber bedenke, dass es auch in Taitu angesehene Ärzte gibt. Da ist zum Beispiel Lo Han Chen, ein Arzt der alten chinesischen Heilkunst. Man sagt, selbst schwerste Erkrankungen behandelt er nur mit einer einzigen Nadel. Oder Tan Jin Po. Er ist bei einem der Araber in die Lehre gegangen. Allerdings…« Er wiegte den Kopf hin und her. »Er ist sehr jung. Vermutlich fehlt es ihm noch an der nötigen Weisheit und Erfahrung.« Khubilai lachte. »Aber ich gebe dir recht, mein Freund, Li Mu Bai hat schon viel Gutes getan, und noch nie hörte ich jemanden ein schlechtes Wort über ihn sagen. Vielleicht ist er wirklich der beste Arzt in meinem Reich.« Er wandte sich an Beatrice. »Beatrice, Frau aus dem Norden des Abendlandes, ich habe einen Auftrag, nein, eher noch eine Bitte an dich. Wärst du bereit, Li Mu Bai, Lo Han Chen, Tan Jin Po und alle anderen Ärzte in Taitu als deine Schüler anzunehmen und dein Wissen an sie weiterzugeben? Im Gegenzug könntest du von ihnen die Heilkunst der Chinesen erlernen. Auf diese Weise könntet ihr gemeinsam zum Wohle und zur Gesundheit meines Volkes beitragen.«
Natürlich meinte Khubilai mit »Volk« hauptsächlich seine Soldaten, die für ihn die Kriege führten und Zusammenhalt und Ausdehnung seines Imperiums sicherten. Aber was machte das schon aus? Der feierliche Ernst, mit dem er ihr seinen Vorschlag vorgetragen hatte, erinnerte an eine Hochzeitszeremonie. Beatrice konnte sich gerade noch rechtzeitig bremsen, um nicht mit »Ja, ich will« zu antworten.
»Eure Bitte ist mir eine große Ehre, großer Khan«, sagte sie und verneigte sich. »Mit Freuden werde ich mich um ihre Erfüllung bemühen. Wann soll ich beginnen?«
»Du verlierst wahrlich keine Zeit«, erwiderte Khubilai und lächelte. »Aber gedulde dich noch ein wenig. Erst wenn wir in Taitu angekommen sind, wirst du deine Aufgabe übernehmen. Maffeo, lass Li Mu Bai auf der Stelle von meinem Entschluss wissen. Sollte er berechtigte Einwände haben, möge er sie vortragen. Andernfalls wird er Schüler von Beatrice, der Frau aus dem Norden des Abendlandes. So will ich es, und so
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