Das Rätsel der Fatima
Aber ist nicht jeder Glaube so gut wie der andere? Wenn der Glaube der Mongolen in Taitu nicht mehr zu ihrem Leben passt, sollten sie eben ihren Glauben ändern.«
Marco lächelte. »Der Khan tut es doch auch. Die Mongolen sollten ihrem Herrscher nacheifern, dann gäbe es keine Probleme mehr.«
Beatrice wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Natürlich verabscheute sie Intoleranz und Fanatismus zutiefst, aber dieser oberflächliche Umgang mit Religion, wie Marco ihn offensichtlich praktizierte, gefiel ihr ebenso wenig. Den Glauben zu wechseln, so wie es gerade in die Lebensumstände passte, das war falsch. Solche Menschen würden auch ohne zu zögern einen Pakt mit dem Teufel schließen.
»Es ist spät geworden«, sagte sie und merkte, dass sie auf ihr Handgelenk geschaut hatte. Dabei trug sie natürlich keine Armbanduhr, sonst nicht und hier, am Hof des Khans, schon gar nicht. »Ich werde jetzt besser gehen.«
»Aber warum denn?«, fragte Marco. »Von mir aus könnt Ihr gerne bleiben. Maffeo wird mit dem Einpacken auch allein fertig. Er hat eine überaus tüchtige Dienerin.«
»Das mag zwar sein«, erwiderte Beatrice und lächelte verlegen, »aber trotzdem möchte ich ihm nicht die ganze Arbeit allein überlassen. Vielleicht kann ich mich ja nützlich machen. Und wenn nicht, habe ich wenigstens kein schlechtes Gewissen.«
»Nun gut, ich werde Euch nicht bedrängen.« Marco half ihr beim Aufstehen und klatschte dann in die Hände. »Einer meiner Diener wird Euch zu Euren Gemächern begleiten.«
»Ich danke Euch für das ausgezeichnete Essen.« – Marco verbeugte sich lächelnd und ergriff ihre Hand. »Ich bin derjenige, der Euch danken muss. Eure Gesellschaft hat diesem Tag erst seinen Glanz verliehen.« Er beugte sich vor und küsste ihren Handrücken. »Ich wünschte, wir könnten das wiederholen, zu jeder Zeit, wenn Ihr wollt. Ich stehe Euch zur Verfügung.«
Während Beatrice dem jungen Diener quer durch den Palast folgte, ärgerte sie sich über sich selbst. Noch heute Nacht hatte sie sich vorgenommen, Marco gegenüber vorsichtig zu sein. Und was war geschehen? Keine fünf Minuten nachdem sie ihm begegnet war, hatte sie ihre guten Vorsätze bereits vergessen.
Was bist du nur für eine dumme Gans!, schimpfte sie mit sich. Du solltest vielleicht mal einen Blick in deinen Personalausweis werfen, ob du wirklich schon über dreißig bist. Deinem Benehmen nach zu urteilen, bist du keinen Tag älter als sechzehn.
Als sie wenig später in ihren Gemächern eintraf, war sie überrascht, wie weit die Diener mit ihrer Arbeit bereits gekommen waren. Überall standen mit Stroh und Sägespäne gefüllte Kisten, die Wände waren kahl, die beiden Stühle und die niedrigen Tische fehlten, und ein Diener leerte die Schubladen der Kommode. Inmitten der Betriebsamkeit stand Ming und gab Anweisungen in alle Richtungen. Sogar das junge verletzte Mädchen humpelte mit dick verbundenen Beinen durch das Zimmer und packte Wäsche in eine Reisetruhe.
Auf dem Bett saß Maffeo und sah dem Ganzen zu. Er wirkte ein wenig verloren, so als wüsste er nicht, warum er hier war und was das alles bedeuten sollte, was um ihn herum vorging. Erst als Beatrice ihn ansprach, sah er auf.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
Beatrice wusste zwar nicht genau, was er damit meinte, aber sie nickte.
»Ja«, sagte sie und setzte sich neben ihn. »Allerdings bin ich so satt, dass ich wahrscheinlich heute keinen Bissen mehr hinunter kriege.«
»Und sonst?« Maffeo sah Beatrice mit dem Blick eines Vaters an, der befürchtet, dass seine einzige Tochter soeben entjungfert worden war.
»Nichts weiter«, antwortete sie und ärgerte sich. So rührend seine Besorgnis um ihr Wohlergehen auch gemeint sein mochte, was fiel Maffeo ein? Sie war nicht seine Tochter. Außerdem war sie alt genug, um selbst zu entscheiden, was sie wann tun wollte – und mit wem.
»Verzeih mir«, sagte Maffeo und legte ihr kurz eine Hand auf den Arm. »Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht. Du warst lange fort.«
Beatrice beschloss, es dabei zu belassen. Sie hatte keine Lust, sich den bisher recht angenehmen Tag mit einem Streit zu verderben.
»Kann ich noch beim Zusammenpacken behilflich sein?«
Maffeo schüttelte den Kopf. »Nein. Wie du siehst, hat Ming alles im Griff. Im Grunde genommen sind wir beide hier überflüssig.«
Er seufzte, schwieg und starrte wieder auf den Boden vor seinen Füßen. Beatrice fragte sich, weshalb sie nicht doch länger bei
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