Das Raetsel der Liebe
Klavierunterricht?« Der Earl feuerte die Worte ab wie Gewehrkugeln.
»Nein, Si- Mylord.«
»Sollte er dann nicht mit
dir
reden?«
Jane kratzte sich an der Stirn, hörte jedoch sofort wieder damit auf. Sicher war es unhöflich, sich in Gegenwart eines Earls zu kratzen.
»Ich … na ja, gewiss weiß Mr Hall, was er tut.«
Der Earl starrte sie einen Moment lang verblüfft an. Dann gab er ein kurzes Lachen von sich. Es klang eingerostet und humorlos, als ob er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gelacht hätte. »Bist du da so sicher, ja?«
Jane schaute hinüber zu Lydia und Mr Hall, die immer noch in ihr Gespräch vertieft waren, und zuckte mit den Schultern. Der Earl maß sie mit strengem Blick. Er erinnerte sie an das Konterfei eines grausamen Ritters, das sie einmal in einem Balladenbuch gesehen hatte.
»Und jetzt raus mit dir«, befahl er. »Ich habe zu tun.«
Sein grantiger Ton ließ sie erschauern, aber sie blieb, wo sie war. »Sind das alles Ihre Pflanzen?«
»Wessen denn sonst?«
»Und was ist das?« Jane deutete auf das merkwürdige Gerät in seinen Händen.
Der Earl hob es ein Stückchen hoch. Es handelte sich um eine lange Metallröhre, an deren einem Ende etwas befestigt war, das wie ein Griff aussah. »Eine Wasserspritze. Damit kann man feuchten Nebel auf Keimlinge sprühen. Recht nützlich … falls es einem gelingt, das verfluchte Ding in Gang zu bringen.«
Er drückte den Griff, doch der blieb auf halbem Wege im Zylinder stecken. Rushton warf dem Gerät einen wütenden Blick zu, als hätte es ihn soeben zutiefst beleidigt. Jane musste ein Lächeln unterdrücken.
»Das ist doch immer so, oder?«, meinte sie. »Die meisten Dinge sind nur dann nützlich, wenn sie auch funktionieren.«
»Ach ja? Und wie wirst
du
dich später einmal nützlich machen?«
Das hätte Jane gerne selber gewusst. »Ich habe mich noch nicht entschieden.«
Der Earl gab ein verächtliches Grunzen von sich und widmete sich wieder seinen Pflanzen. Jane sah ihm eine Weile zu.
»Ich würde gerne Insekten studieren«, sagte sie schließlich.
Er bellte wieder sein rostiges Lachen. »Du würdest gerne die Geißel meines Gartens studieren? Finde einen Weg, wie man die lästigen Viecher los wird – dann wärst du in der Tat von Nutzen.«
Sein Tonfall deutete an, dass Jane bis zu jenem Tag, an dem ihr das gelang, auch selbst nichts weiter sein würde als eine lästige Plage. Sie wusste nicht, weshalb, aber seine Worte versetzten ihr einen schmerzhaften Stich. Eigentlich konnte es ihr vollkommen egal sein, was dieser Mann von ihr dachte, auch wenn er ein Adliger war. Papa hatte immer gesagt, der Charakter eines Mannes sei wichtiger als seine gesellschaftliche Stellung.
»Kennen Sie sich mit Farnen aus, Mylord?«, fragte sie.
Er sah sie an, als hätte sie ihn gefragt, ob er wüsste, wie man Earl wird.
»Selbstverständlich«, erwiderte er. »Warum?«
»Na ja, ich habe einen Farn. Er sieht ein bisschen mitgenommen aus. Er wird ganz braun. Ich weiß nicht, was ich falsch mache, aber vielleicht können Sie es mir sagen?«
Lord Rushton räusperte sich vernehmlich. Dann befahl er: »Bring ihn das nächste Mal mit, wenn du herkommst.«
»Jane?« Das war Lydias Stimme. Sie klang angespannt. »Bist du … oh.« Sie blieb stehen und legte eine Hand auf Janes Schulter.
»Mein Vater, der Earl of Rushton«, sagte Mr Hall, der ihr gefolgt war.
Lydias Finger schlossen sich fester um Janes Schulter. »Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Mylord.«
Der Earl warf Lydia unter seinen buschigen Augenbrauen hervor einen stechenden Blick zu. Dann nickte er schroff und wandte sich ab. Jane versuchte, sich Lydias Griff zu entwinden, der allmählich schmerzhaft wurde.
»Nun komm schon.« Lydia schob Jane in Richtung des Klaviers, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte: »Ich hoffe wirklich, du hast ihn nicht gestört.«
»Er bellt zwar laut, aber er beißt nicht«, sagte Mr Hall ganz unverblümt. Er klang beinahe amüsiert. »Außer seine eigenen Kinder. Nehmen Sie bitte Platz, Miss Jane. Wir wollen anfangen.«
Sie setzte sich an das Instrument, ließ jedoch den Earl nicht aus den Augen. Schließlich fiel mit einem lauten Klicken die Tür ins Schloss, und er war fort.
Jane wandte ihre volle Aufmerksamkeit dem Klavier zu. Mr Halls Anweisungen entsprechend versuchte sie, ihre Finger dazu zu bringen, mit ihrem Verstand zu kooperieren, lernte Tonarten und machte Grundübungen zu den Tonleitern. Eine Stunde später verließ sie
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