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Das Raetsel der Liebe

Das Raetsel der Liebe

Titel: Das Raetsel der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Rowan
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hämmerte lauter. Und bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte, nahm sie den Umschlag und löste den Bindfaden. Dann klappte sie mit zitternden Fingern die Lasche auf und zog ein völlig vergilbtes Blatt Papier heraus. Es war mithilfe gedruckter Linien in verschiedene Abschnitte eingeteilt. In jedem Feld standen einige Worte.
    Sorgfältig studierte sie die krakelige, ungelenke Handschrift, die an mehreren Stellen über die Begrenzungslinien hinweglief. Erst nach einer ganzen Weile wurde ihr klar, dass es Französisch war.
    Französisch. Ihre Mutter hatte jahrelang in Frankreich gelebt … in einem Kloster oder Sanatorium, das von Dominikaner-Nonnen geleitet wurde. Dort war sie auch gestorben, also war das hier vielleicht ihr Totenschein oder …
    Jane rang nach Luft.
    »Mein Vater hat Russland mehrfach besucht, auf Geheiß des Zaren«, erzählte Lord Rushton, während er mit einem geübten Schnitt sein Filet zerteilte. »Er sprach von diesem Land immer mit großer Zuneigung und nahm mich oft dorthin mit, als ich noch klein war. Er war sehr erfreut, als ich zum Botschafter in Sankt Petersburg berufen wurde. Das ist natürlich alles ewig lange her.«
    Lydia hätte schwören können, dass ein Anflug von Wehmut über das Gesicht des alten Earls flackerte, bevor er einem Diener winkte, ihm Wein nachzuschenken.
    »Kehren Sie oft dorthin zurück?«, wollte Lydia mit einem Blick auf Sebastian wissen, der zu ihrer Rechten saß. »Nach Sankt Petersburg, meine ich?«
    Sebastians Miene verdüsterte sich. Er schüttelte den Kopf und griff nach seinem Glas.
    »Auch wir haben Russland oft besucht, als wir noch Kinder waren, genau wie Papa«, erklärte Talia mit etwas zu heiterer Stimme. »Sankt Petersburg war für uns wie ein zweites Zuhause. Unser Bruder Darius lebt immer noch dort. Eine herrliche Stadt, Miss Kellaway. Sie müssen sie irgendwann einmal besuchen. Ich bin mir sicher, dass Sie dort eine Menge gelehrter Kollegen treffen würden.«
    »Wie ist es denn dort so?«, fragte Lydia weiter.
    Stille breitete sich aus. Die drei Geschwister tauschten bedeutungsvolle Blicke, als warte jeder, dass der andere sprach. Als wüsste keiner von ihnen eine Antwort auf diese einfache Frage. Alexander zuckte mit den Schultern.
    »Kalte Winter.« In seiner Stimme lag etwas Abwesendes, Fremdartiges. »So ist es dort. Bittere Kälte, die einem den Atem nimmt. Überall türmt sich Schnee auf. Eis bedeckt die Fenster. Der Fluss und die Kanäle frieren meterdick zu. Polarwinde, schneidend wie gesplittertes Glas, treiben Wolken von Schnee durch die Straßen. Schon am frühen Nachmittag wird es dunkel. Erst im Mai taut das Eis weg. Manchmal scheint es, als wolle der Winter niemals enden.«
    »Klingt nicht gerade gemütlich, oder?«, warf Castleford ein. »Wissen Sie eigentlich, dass ich selbst noch nie dort war?«
    »Tatsächlich?« Lady Talia sah ihn leicht verwundert an. »Und ich dachte, Sie seien schon überall gewesen.«
    »Ich ziehe wärmere Gefilde vor, Mylady. Besonders wenn es stimmt, dass diese Stadt ein halbes Jahr lang unter einer dicken Eisschicht verschwindet.«
    »Man lernt anders zu leben in dieser Zeit«, sagte Alexander. Er heftete seinen Blick auf Lydia, und als er weitersprach, schien es, als rede er nur mit ihr. »Im Winter hört man zwar kein Vogelgezwitscher, dafür aber die Glöckchen der Troikas. Die Kirchen sind von Kerzenlicht erfüllt, und gut versorgte Öfen halten die Häuser warm. In den Theatern gibt es Konzerte, Schauspiele und Opern. Schlittenrennen auf der zugefrorenen Newa. Musikfestivals. Unzählige Tanzveranstaltungen. Eislaufen. Puppentheater. Eispaläste. Straßenverkäufer bieten heißen Tee und Pasteten feil. Man kann sich endlos in der Eremitage verlieren, in den Kathedralen und Akademien. Und wenn man das nicht möchte, geht man einfach hinaus in die weiße Dunkelheit. In die Stille.«
    Über sein Gesicht huschte eine Gemütsregung, die Lydia nicht deuten konnte. Ein Hauch von Einsamkeit, Freudlosigkeit, als hätte er etwas Wertvolles verloren und nicht die geringste Idee, wo er danach suchen sollte.
    »Gut beschrieben, Northwood«, brummte Rushton.
    »Nun«, Alexander zwang sich zu einem Lächeln, »ich vermute, man kann derlei Vergnügungen überall finden.«
    »Nein«, widersprach Talia leise und legte ihre Hand auf seine. »Nicht überall.«
    Rushton räusperte sich vernehmlich. Dann erhob er sich und klatschte in die Hände, um die ernste Stimmung zu vertreiben. »Kaffee im Salon. Und lasst

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