Das Rätsel der Rückkehr - Roman
trockene Blätter herbeiweht.
Nicht weit davon sitzen auf einem verstaubten gelben Sofa, das ein kleines Mädchen eben noch abwischen konnte, zwei Geschäftsleute im Gespräch, während sie auf eine Unterredung mit dem Bürgermeister warten. Die Stimmen der Vorübergehenden übertönen die leise geführten Verhandlungen dieser Männer, die schon immer in einer vom Geld abgeschirmten, eigenen Welt leben.
Man macht sich keine Vorstellung
von der Wirkung
neuen Geldes
in einem Land,
wo ein Arbeiter am Tag
weniger als einen Dollar verdient.
Ich sehe noch das sehr junge Mädchen
gestern abend vor der Disko in dem roten Minirock
und dem knappen gelben Top, das schrie
sie sei keine Nutte,
denn „ich will kein Geld,
aber ich will alles, was man mit Geld,
kaufen kann!“
Ich sitze unter dem Mandelbaum des Hotels.
Während der Mittagsruhe.
Ein kleine rosa Mauer
trennt mich von der Straße.
Dort spielt sich das Leben ab.
Auf der Bank stehend beobachte ich über die Mauer hinweg drei Mädchen vor einer Pyramide bunter Früchte. Sie reden miteinander, aber in einer derartigen Geschwindigkeit, dass ich nicht alles, was sie sagen, erfassen kann. Es interessiert mich auch weniger als die Schönheit der Szene.
Was ich auf dem Markt sehe,
unterscheidet sich nicht
von dem kleinen Bild, das ich eben erstand.
Ich betrachte beide Szenen,
ohne feststellen zu können,
welche die andere nachahmt.
Ein Vogel schwingt sich flügelschlagend
hinauf zum klaren harten Mittagshimmel.
Sehr mager, aber mit erstaunlicher
Entschlossenheit, sich möglichst
weit der Sonne zu nähern.
Er flog so hoch,
dass meine Augen die Partie verloren gaben.
Hier stirbt man nicht
Ein gut frisiertes Mädchen.
Der schwarze Rock bedeckt ihr Knie.
Sie überquert mit schnellen Schritten den Platz
zu einem öffentlichen Telefon,
die Schnur ist abgeschnitten.
Sie setzt sich auf die Bank neben der Kabine,
stützt den Kopf in die Hände.
Männer in Schwarz.
Frauen in Tränen.
Ein leichter Regen trotz Sonnenschein.
Der kleine vom Markt verdeckte Friedhof
ist eine friedliche Oase.
Frauen in Trauerkleidung, ohne Witwen zu sein,
kommen, um sich zwischen den Toten
ihr Unglück zu erzählen.
Ohne Furcht, dass man sie unterbricht.
Es ist der einzige Ort, den die Killer
nicht aufsuchen.
Das Dasein auf einer abgeholzten Insel,
im Wissen, niemals zu sehen,
was sich auf der anderen Seite
des Meeres abspielt.
Für die Mehrheit der Leute hier
ist das Jenseits das einzige Land,
das sie einmal besuchen werden.
Ein Hund läuft die Straße entlang.
Die Nase gen Himmel.
Den Schwanz hoch gereckt.
Dann rennt er, um die Spitze
des Trauerzugs einzunehmen.
Ich erinnere mich an die Sargträger meiner Kindheit,
die mit dem Sarg auf ihren Schultern tanzten.
Frauen drohten sich
in die Grube zu ihrem Mann zu stürzen.
Verschreckte Hunde rannten zwischen den Gräbern
während der Wind die Palmen hin und her bewegte,
wie eine Kleine mit ihren Zöpfen spielt.
Der Tod erschien mir damals so witzig.
Später in meiner Jugend
verging kein Tag, ohne
das Läuten der Totenglocke.
Meiner Mutter gefror jedesmal das Blut in den Adern.
Da man den Tod mit einer Reise verglich,
brachte er mich eher zum Träumen.
Der Tod konnte jederzeit kommen.
Eine Kugel ins Genick.
Ein roter Blitz in der Nacht.
Er kam so rasch,
man hatte nie Zeit, ihn kommen zu sehen.
Diese Schnelligkeit ließ zweifeln, ob es ihn gab.
Leben im Viertel (früher und jetzt)
Ein ruhiges Viertel.
Man lebt zurückgezogen.
Eine Händlerin baut ihren Stand
vor einer Mauer auf.
Eine zweite kommt.
Eine dritte.
Und eine Woche später
ist da ein neuer Markt.
Er verändert das Leben in der Nachbarschaft.
Ein Mann kommt schweißnass
mit Wasser in einem weißen Plastikkanister.
Er versteckt sich hinter dem Mäuerchen,
um sich mit wilder Hast das Gesicht zu waschen,
den Hals, den Brustkorb und die Achselhöhlen.
Bevor er wieder in den Markt eintaucht.
Wie an den Nächsten denken, wenn man seit zwei Tagen nichts gegessen hat, und der Sohn im Zentralkrankenhaus liegt, wo es nicht einmal Verbandszeug gibt? Und doch hat es diese Frau getan, als sie mir ein Glas frisches Wasser brachte. Woher nimmt sie diese Selbstverleugnung?
Auf dem vergilbten Foto, das bin ich wirklich,
dieser magere junge Mann im Port-au-Prince
der schrecklichen Siebziger Jahre.
Wenn man mit zwanzig nicht mager ist in Haiti,
steht man auf der Seite der Macht.
Nicht nur weil man zu wenig
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